Kolumne "Zur Sache"

Der IPCC und die Spitze des Eisbergs

Prof. Dr. Ottmar Edenhofer, Co-Chair der IPCC-Arbeitsgruppe III „Klimaschutz“, Stellvertretender Direktor und Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

Photothek Thomas Köhler

Von den Berichten des Weltklimarats IPCC dringt trotz weltweiter Medienaufmerksamkeit überraschend wenig ins öffentliche Bewusstsein. Über den Stand der Forschung zum Thema Klimaschutz informieren sich viele Leser, auch Journalisten und Politiker, nur aus der so genannten Zusammenfassung für Entscheidungsträger.

Wenn ich nun das Bild eines Eisberges heranziehe, ist dazu zu sagen, dass von einem Eisberg rund ein Zehntel oberhalb der Wasseroberfläche sichtbar ist. In unserem Bericht entspricht das Verhältnis von viel beachteter Zusammenfassung zum Gesamtbericht „unter Wasser“ eher einem Hundertstel: 30 Seiten gegenüber rund 2000.

Was unsere 235 Autoren in mehrjähriger Arbeit zusammengetragen, analysiert und in ihren Kapiteln aufbereitet haben, die Substanz unseres Berichts, mag viele Leser in der Ausführlichkeit und in der Dichte überfordern. Schon die Kapitel sind eine Essenz: in 16 Kapiteln werden rund 10.000 wissenschaftliche Publikationen zitiert. Es gibt keine vergleichbar gründliche, gewissenhafte und politikrelevante Auswertung des Wissens über den Klimawandel, seine Folgen, Anpassung und Klimaschutz als die Sachstandsberichte des IPCC.

Im Nachgang der Veröffentlichung war jedoch zu lesen, unsere Zusammenfassung sei verwässert worden, ja sogar zensiert. Rollen wir die Vorgänge auf: Die Inhalte unseres Berichts wurden gemäß den Regeln des IPCC ausführlich begutachtet, einmal von Experten und in der zweiten Runde zudem von Regierungen. In der dritten und letzten Runde wird der gesamte Bericht den Regierungen vorgelegt, die aber nur die Zusammenfassung kommentieren. Insgesamt haben unsere Autoren rund 38.000 Kommentare erhalten.

Mit den Ergebnissen dieser Arbeit sind wir in das Abschlussplenum gegangen, in dem die Zusammenfassungen Zeile für Zeile verabschiedet werden. Im Verlaufe der Verhandlungen wurde offenbar, dass nicht alle Regierungen den ihnen präsentierten wissenschaftlichen Konsens in allen Fragen mittragen. Die Verabschiedung muss aber einstimmig sein. Über die Aussagen zum Zusammenhang zwischen Treibhausgasemissionen und dem mittleren Einkommen verschiedener Länder und zum Thema internationaler Zusammenarbeit konnte keine Einigung erzielt werden. Diese Abschnitte der Zusammenfassung für Entscheidungsträger wurden gekürzt.

Auf Seiten der Autoren hat das vielfach Frustration ausgelöst. Wie ich meine, zurecht. Viel Arbeit ist in die Zusammenfassung geflossen. Das Streichen wissenschaftlich einwandfreien Textes wirft Fragen zur Zukunft des IPCC auf. Wie kann ein wissenschaftliches Gremium im Auftrag der Regierungen Klimapolitik analysieren, wenn das Ergebnis der Analyse wichtige und legitime Interessen eben dieser Regierungen berührt?

Unsere Zusammenfassung hat inhaltlich verloren, in Breite und Tiefe. Doch es ist auch wichtig festzuhalten, dass sie weiterhin wissenschaftlich unumstritten ist und einen Überblick über die Hauptaussagen des Berichts gibt. Wer tiefer einsteigen möchte, dem kann ich die Lektüre unserer ausführlicheren technischen Zusammenfassung und der zugrunde liegenden Kapitel empfehlen, die alleine von den Forschern geschrieben wurden.

Die Spitze unseres Eisbergs wurde geschliffen, zumindest einiger ihrer Zacken beraubt. Doch ist zu hoffen, dass nun, ganz gemäß des Archimedischen Prinzips, mehr von dem an die Oberfläche gelangt, was zuvor unter Wasser verborgen war.

www.mitigation2014.org

Ottmar Edenhofer
(13.05.2014)

Co-Chair der IPCC-Arbeitsgruppe III „Klimaschutz“, Stellvertretender Direktor und Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung

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