Im Dezember hat sich die Weltgemeinschaft auf der Pariser Klimakonferenz das ambitionierte Ziel gesteckt, die Erwärmung der Erde auf zwei Grad zu begrenzen – wenn möglich sogar unter anderthalb Grad zu bleiben. Wird dieses Ziel erreicht, wäre es eine gute Nachricht für das Klima und die zukünftigen Lebensbedingungen der Menschheit. Leider bedeutet ein Ende des Temperaturanstiegs aber nicht, dass auch alle anderen Veränderungen im Klimasystem aufhören. Der CO2-Ausstoß der Vergangenheit hat Prozesse angestoßen, die die Menschheit noch viele Jahrhunderte beschäftigen werden – auch bei erfolgreichen Klimaschutzmaßnahmen.
Das Abschmelzen der Gletscher ist ein gutes Beispiel für diese langfristigen Veränderungen. Wie bei einem Block Eis, den man aus dem Gefrierschrank holt, hat sich die Umgebung der Gletscher erwärmt und den Abschmelzungsprozess im Eis in Gang gebracht. Wie schnell das Eis verschwindet, hängt von vielen Bedingungen ab. Neben der Temperatur spielt die Größe des Eisblocks eine Rolle – und im Fall der Gletscher auch, wie viel Schnee im Winter noch fällt. Während ein Eisblock aus dem Gefrierfach nach einigen Stunden verschwunden sein wird, liegt die Zeitverzögerung bei den Gletschern im Bereich von Jahrzehnten und Jahrhunderten.
Wenn wir heute im Gebirge Gletscher bestaunen, sehen wir zu großen Teilen Eis, das auch unter heutigen Klimabedingungen nicht erhalten bleiben kann. Das Abschmelzen der Gletscher in den nächsten Jahrzehnten ist daher nur bedingt eine Folge der kommenden Erwärmung – stattdessen ist es eine Folge der Erwärmung, die bereits Jahrzehnte zuvor stattgefunden hat. Selbst wenn die Erwärmung heute stoppen würde – eine physikalische Unmöglichkeit – würde der Abschmelzungsprozess weitergehen und noch rund ein Drittel des in Gletschern gebundenen Eises in Wasser verwandeln. Würde die Menschheit durch entsprechenden Klimaschutz die globale Erwärmung auf zwei Grad begrenzen, dann wären schon rund zwei Drittel des Eises langfristig verloren. Das bedeutet: Je länger wir damit warten, Klimaschutzmaßnahmen aktiv umzusetzen, umso kleiner wird der Hebel den wir ansetzen können – und umso kräftiger müssen wir anpacken, wenn wir Schlimmeres verhindern wollen.
Diese Befunde bedeuten natürlich auch, dass Klimafolgen bereits langfristig festgeschrieben sind. Wir werden uns an die Folgen der Gletscherschmelze anpassen müssen. Das betrifft die Küstenregionen der Welt, die mit einem langsam aber unaufhaltsam steigenden Meeresspiegel zurechtkommen müssen. Und das betrifft auch die Bevölkerung in einigen Hochgebirgsregionen, der dann im Sommer eine Wasserquelle weniger zur Verfügung steht.
Und schließlich müssen wir die Frage nach der Verantwortung stellen. Die Klimapolitik sollte dafür nicht nur in die Zukunft blicken, sondern auch in die Vergangenheit, um zu klären: wer übernimmt Verantwortung für die schon festgeschriebenen Klimafolgen?
Prof. Dr. Ben Marzeion
Professor für Klimageographie am Institut für Geographie der Universität Bremen
18.08.2016
Bildnachweis: © Echo Tirol/Friedle
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