Kolumne "Zur Sache"

Das Schmelzen des grönländischen Eises

Angelika Humbert © AWI, K. Rolfes

Der mächtige Eispanzer Grönlands schmilzt, der Meeresspiegel steigt. Wie viel Schmelzwasser in den Ozean fließt und was genau die Abflussprozesse mit dem Gletscher machen, untersucht Professorin Angelika Humbert – und arbeitet damit an einer drängenden Frage der Klimaforschung.

Ein Editorial von Prof. Dr. Angelika Humbert, Alfred-Wegener-Institut

Wunderschön sind sie, die Schmelzseen auf dem grönländischen Eisschild. Aber sie zeigen in all ihrer Schönheit eine Entwicklung, die uns zu denken geben sollte. Jeden Sommer überschreitet die Temperatur an den Rändern des Eisschilds den Schmelzpunkt und das Schmelzwasser sammelt sich in Senken, was zu den sogenannten supraglazialen Seen führt. Analysieren wir die Daten, die seit 1973 aufgezeichnet werden, zeigt sich eindeutig, dass sich die Schmelzzone am Rand des Eisschilds ausgebreitet hat – auch wenn es in einzelnen Sommern mal nicht besonders heiß war oder in einem Winter doch mal viel Schnee fällt, der Trend ist eindeutig.

Schmelzwassersee auf dem Store-Gletscher in Westgrönland © AWI, C. HofstedeSeit Wochen beobachten wir Glaziologen mithilfe von Bildern unterschiedlicher Satelliten gespannt, wie sich die diesjährige Schmelzsaison entwickelt. Fließt das Schmelzwasser ins Meer, trägt es direkt zum Meeresspiegelanstieg bei. Theoretisch würde der Meeresspiegel global um mehr als sieben Meter ansteigen, würde der komplette Eispanzer Grönlands schmelzen. In den Projektionen von Klimamodellen kann das Schmelzen der grönländischen Gletscher noch nicht gut abgebildet werden. Deshalb ist es für mich als Klimaforscherin ein so spannendes Forschungsgebiet. Die internationale Wissenschaftscommunity arbeitet intensiv daran, das Schmelzen des Grönlandeises besser in die Klimamodelle zu integrieren.

Aktuell gilt das Forschungsinteresse meines Teams und mir dem 79-Grad-Nord-Gletscher im Nordosten Grönlands. Dort haben wir seit vergangenem Jahr Instrumente stehen, mit denen wir das Schmelzen an der Unterseite der schwimmenden Gletscherzunge messen. Im vergangenen Jahr hatten die Kolleginnen und Kollegen vor Ort Probleme, die Instrumente zu installieren, weil die Bohrlöcher sich an vielen Orten sofort mit Wasser gefüllt haben. Dieses Jahr haben wir lange auf den Beginn der Schmelzsaison gewartet. Der Aufbau unserer Instrumente ist darauf ausgelegt, dass zwei Meter pro Jahr an der Oberfläche schmelzen. Noch an Mittsommer war keine Schmelzsaison auf Satellitenaufnahmen erkennbar – aber innerhalb von zwei Wochen ist der Gletscher in ein Labyrinth aus Flüssen und Seen verwandelt worden. Anfang dieses Monats ist eine Expedition aus der Arktis zurückgekehrt. Die Kolleginnen und Kollegen haben die Instrumente, die auf dem 79-Grad-Nord-Gletscher installiert waren, wieder abgebaut und mit zurück nach Bremerhaven gebracht. Jetzt kann die ausführliche Analyse beginnen.

Seit Langem ist bekannt, dass die meisten dieser Seen am Ende des Sommers drainieren, meist geht das Wasser durch Gletschermühlen bis an die Basis der Gletscher und bildet so zwischen Eis und Gestein einen Schmierfilm, der den Gletscher einige Zeit lang schneller gleiten lässt. Das Wasser fließt dann subglazial, also unter dem Gletscher, bis zu dessen Kalbungsfront, wo es in den Ozean strömt. An manchen Gletschern kann man diese oft schwallartig in den Fjord strömenden Wassermassen erkennen. Bilden sich mehr Seen, gehen wir davon aus, dass auch dieses saisonale Gleiten zunimmt. Gleichzeitig würden große Kanäle unter dem Eis den Nachbarregionen dünne Wasserschichten entziehen. Diese komplexe Struktur des Abfließens von Wasser unter dem Gletscher in Kanälen wird uns noch einige Zeit beschäftigen – sowohl in Bezug auf die Beobachtung des abfließenden Wassers als auch dessen Modellierung. Sicher ist: Die Eisschilde verlieren einiges an Masse, tragen massiv zum Anstieg des Meeresspiegels bei – und in der Zukunft wird sich das noch beschleunigen.

 

Zur Autorin
Prof. Dr. Angelika Humbert
ist Physikerin und leitet die Abteilung Glaziologie am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Auf der Website des NDR finden Sie ein Interview mit der Forscherin.

 

21. August 2018

Bildnachweis: Angelika Humbert © AWI, K. Rolfes; Schmelzwassersee auf dem Store-Gletscher in Westgrönland © AWI, C. Hofstede

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