Obwohl mehr als 16 Prozent aller nationalen Meeresflächen geschützt sind, gibt es Nachholbedarf in Sachen biologische Vielfalt. Die Umweltwissenschaftlerin Dr. Kerstin Jantke hat die Entwicklung der Meeresschutzgebiete analysiert und kommt zum Schluss, dass deren heutige Ausdehnung teuer und ineffizient ist.
Ein Editorial von Dr. Kerstin Jantke, Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit
Bis zum Jahr 2020 sollen mindestens zehn Prozent aller Küsten und Ozeane weltweit unter Naturschutz stehen. Dies ist in internationalen Vereinbarungen wie den Sustainable Development Goals (SDG) und den Aichi-Zielen der Vereinten Nationen (UN) festgelegt. Dieses Ziel wurde heute mit rund 16,8 Prozent in den nationalen Gewässern bereits erreicht. Seit dem Jahr 2000 hat sich die Fläche der Meeresschutzgebiete tatsächlich verzehnfacht und ist um 21 Millionen Quadratkilometer gewachsen. Zunächst eine gute Nachricht!
Doch wo diese Flächen liegen, ist für den Umweltschutz nicht beliebig. Um die biologische Vielfalt zu erhalten, muss auch die Verschiedenheit der Ozeane berücksichtigt werden: Meer ist nicht gleich Meer. Die Ozeane lassen sich weltweit in rund 260 unterschiedliche Ökoregionen einteilen. Deshalb soll laut Abkommen auch jede dieser Regionen zu zehn Prozent unter Schutz stehen.
Deutschlands Meeresflächen teilen sich dabei in zwei Ökoregionen, die Nordsee und die Ostsee. Beide stehen – von deutscher Seite aus – mit einer Fläche von weit mehr als 40 Prozent ausreichend unter Schutz. Auch Australien hat seine Meere zu rund 45 Prozent geschützt. Doch unsere weltweite Analyse zeigt: Mehr als die Hälfte der Ökosysteme sind nicht ausreichend geschützt – zehn von ihnen noch überhaupt nicht. Besonders die Küsten, an denen viele Menschen leben, leiden. Grob gesagt fehlt vor allem Schutz im Mittelmeer und an den Atlantikküsten, im Pazifikraum sieht es etwas besser aus.
Hätte man in den Anfängen des Meeresschutzes um das Jahr 1982 begonnen, taktisch zu planen, wäre vieles einfacher gewesen. Die Fläche der Meeresschutzgebiete könnte insgesamt um ein Drittel kleiner sein als heute, nur halb so viel kosten und trotzdem zehn Prozent jedes Ökosystems bewahren. Dieses Ziel hätte längst erreicht sein können, wenn die Staaten strategisch zusammengearbeitet hätten. Heute ist weit mehr Fläche geschützt als gefordert, und trotzdem fehlt vielen einzigartigen Ozeangebieten der Schutz. Eine vertane Chance.
Trotzdem ist deutlich ist zu erkennen, dass die Abkommen etwas bewirken. Wenn konkrete Zahlen festgelegt werden, handeln viele Staaten auch. So ging es nach den ersten Schutzvereinbarungen in den 1980er Jahren nur langsam voran. Nach den Vereinbarungen des Nachhaltigkeitsgipfels 2002 in Johannesburg kam der Meeresschutz richtig in Schwung. 2010 wurde auf einer Konferenz in Nagoya bekräftigt, das Zehn-Prozent-Ziel bis 2020 zu erreichen. Jetzt, kurz vor Ende der Frist, sehen wir, wie weltweit neue Schutzgebiete ausgewiesen werden.
Daher fordern wir die Regierungen auf, systematisch vorzugehen und strategisch zusammenzuarbeiten, um die bestehenden Lücken zu schließen. Neue Schutzzonen sollten ab sofort gezielt in gar nicht oder wenig geschützten Ökoregionen ausgewiesen werden.
Doch reichen diese Anstrengungen aus? Wie viele Expertinnen und Experten gehe ich davon aus, dass die Zukunft einer Ökoregion nur gesichert ist, wenn mindestens 30 Prozent ihrer Fläche unter Schutz steht. Daher hoffe ich, wenn 2020 in China unter Federführung der UN neue Ziele zum Naturschutz verhandelt werden, dass sich die Staaten auf diese höheren Schutzziele einigen werden.
Eine intakte Biodiversität bildet unsere Lebensgrundlage und verdient daher unbedingt ausreichenden Schutz. Der Klimawandel wird jedoch auch vor einem Schutzgebiet nicht haltmachen. Beispiel Australien: Die Küstengewässer sind offiziell ausreichend geschützt – und trotzdem sind große Teile der Korallenriffe aufgrund der hohen Wassertemperaturen gefährdet. Gerade deshalb ist Meeresschutz essentiell: Ausreichend geschützte Gebiete können sich wahrscheinlich besser an kommende Klimaveränderungen anpassen.
Der Text basiert auf der Studie „Poor ecological representation by an expensive reserve system: Evaluating 35 years of marine protected area expansion”, die im Fachjournal Conservation Letters erschienen ist.
Zur Autorin
Dr. Kerstin Jantke ist Umweltwissenschaftlerin und arbeitet am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg. Die Studie zum Meeresschutz entstand in Kooperation mit der University of Queensland in Brisbane, Australien, der Wildlife Conservation Society und der Nature Conservancy. Die Pressemitteilung dazu finden Sie auf der CEN-Website.
12. Oktober 2018
Bildnachweis: Kerstin Jantke © privat
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