Kolumne "Zur Sache"

Warum Klimawandelproteste erst jetzt an Fahrt gewinnen

Irene Nervela © DKK, Stephan Röhl

In den vergangenen Monaten hat sich die Wahrnehmung des Klimawandels radikal geändert. Professorin Irene Neverla analysiert, welche Rolle die Medien dabei spielten. Sie ist Kommunikationswissenschaftlerin und Expertin des K3 Kongresses zu Klimakommunikation.

Ein Editorial von Prof. Dr. Irene Neverla, Universität Hamburg

Seit den 1980er Jahren sind sich die Klimaforscherinnen und -forscher sicher: Die Erde erwärmt sich, und wir Menschen sind durch die von uns verursachten Emissionen dafür verantwortlich. Diese Erkenntnis kommuniziert die Wissenschaft seitdem laut und klar, die journalistischen Medien berichten darüber – Print, Radio, Fernsehen, seriöse Qualitätsmedien, aber auch die Bild-Zeitung titelte 2007 boulevardtypisch „Unser Planet stirbt“. Warum hat es fast vier Jahrzehnte gedauert, bis die Erkenntnis vom Klimawandel die Menschen tatsächlich bewegt, und die von Jugendlichen geführte Protestbewegung „Fridays for Future“ jetzt global eine so große Resonanz erhält?

Wir Kommunikationsforschenden an der Uni Hamburg haben in einer Studienserie untersucht, wie Menschen die Berichterstattung über den Klimawandel wahrnehmen, wie sie daraus Wissen und Handlungsbereitschaft generieren, und wie sie online über das Thema sprechen.

Was wir wissen: Die klassischen journalistischen Medien haben dafür gesorgt, dass das Thema Klimawandel in den Köpfen ankam. Die Forschungsergebnisse zum Klimawandel wurden immer wieder thematisiert, seine Folgen erklärt. Diese Berichterstattung über Jahre hinweg war wohl auch nötig beim wissenschaftlich generierten und hoch komplexen Phänomen Klimawandel, das Einzelne nicht sinnlich erspüren können. Zugleich zeigen die Untersuchungen, dass eine intensive Nutzung klassischer Medien allein keineswegs zu ausgeprägtem Wissen oder zu klimasensiblem Verhalten führt. Vielmehr verarbeiten Medien-Nutzerinnen und -nutzer ihr Klimawissen im Zusammenspiel mit anderen gesellschaftlichen Institutionen – im Schulunterricht, durch Familiengespräche, Reisen, nicht zuletzt durch bleibende Eindrücke aus Spiel- und Dokumentarfilmen. All diese Instanzen tragen zu einem kommunikativen Grundrauschen bei, das in den Bevölkerungsgruppen unterschiedlich weitergesponnen wird.

Was hinzukam: Seit den 2000er Jahren haben sich die Social Media mehr und mehr verbreitet und werden ganz unterschiedlich genutzt. Da wären etwa die neugierigen Wissenschaftsinteressierten, die Social Media verwenden, um ihre Kenntnisse zum Klimawandel zu vertiefen. Eine andere Gruppe sieht Wissenschaft, Politik und Medien grundsätzlich skeptisch und nutzt sie als Foren, um ihre Ablehnung auszudrücken. Jenseits dieser unterschiedlichen Formen von Klimakommunikation im Netz nutzen aber vor allem junge Menschen, die ganz selbstverständlich mit Social Media aufgewachsen sind, diese als Instrument der Information und der Mobilisierung für ihre Proteste. Insoweit war das Hinzukommen der Social Media sicherlich ein wichtiger Faktor für den Erfolg des gegenwärtigen Protests.

Warum aber stieg – nach 40 Jahren Berichterstattung – nachweislich im Jahr 2018 plötzlich die Zahl der Deutschen, die Klimawandel als wichtigstes gesellschaftliches Problem betrachteten? Warum erhielt Greta Thunberg, die unbekannte junge Frau, mit ihren zunächst einsamen Protestaktionen wachsende Aufmerksamkeit, erst durch die Medien, dann offenbar auch in den Köpfen und – ganz wichtig – in den Herzen der Menschen? Gab letztlich doch die physisch spürbare Erfahrung des Hitzesommers 2018 den Ausschlag? Der Gedanke ist naheliegend, aber Spekulation – und bietet Anknüpfungspunkte für weitere sozialwissenschaftliche Untersuchungen. Was wir jedoch festhalten können: Die Berichterstattung über den Klimawandel allein hat das Thema nicht allmächtig in den Köpfen der Menschen platziert. Sie ist jedoch eine grundlegende Bedingung, damit das Wissen über die langfristigen und komplexen Entwicklungen des Klimawandels überhaupt an eine breite Öffentlichkeit gelangen konnte. Wucht entwickelte das Anliegen, als es nicht nur in den Medien, sondern auch in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft eine breite Resonanz fand – allen voran natürlich bei „Fridays for Future“, aber etwa auch durch die Unterstützung von „Scientists for Future“ oder bei Bürgerinnen und Bürgern während der Europawahl.

 

Zur Autorin
Prof. Dr. Irene Neverla ist Kommunikationswissenschaftlerin, Emerita der Universität Hamburg und eine der Expertinnen des K3 Kongresses, der in diesem Jahr vom DKK koordiniert wird. Sie hat sich am Hamburger Exzellenzcluster für Klimaforschung CliSAP intensiv mit Klimakommunikation beschäftigt. In Karlsruhe spricht Neverla im September beim zentralen Vortrags- und Diskussionsformat „Forum und Debatte“ über die Frage, wie der Klimawandel in unsere Köpfe gelangt. Außerdem ist sie Mitglied des K3 Beirats, der die Veranstalter bei der Gestaltung des Programmes berät.

 

K3 Kongress

 

16. Juli 2019

Bildnachweis: DKK, Stephan Röhl


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