Während der Hitzewellen in den vergangenen Sommern hatten viele Menschen das Gefühl, die Folgen des Klimawandels zu spüren. Aber dies ist kein Gefühl mehr, sondern inzwischen durch Wissenschaft belegbar: Ohne den Klimawandel wäre die seit Beginn der Wetteraufzeichnungen extremste Hitzewelle in Mitteleuropa im Juli 2019 um 1,5 bis 3 Grad kühler gewesen. Solche Erkenntnisse ermöglicht das recht neue Forschungsgebiet der Attributionsanalysen. Tobias Fuchs erklärt, was dahintersteckt und wie der Deutsche Wetterdienst dieses in seine tägliche Arbeit integrieren wird.
Ein Editorial von Tobias Fuchs, Deutscher Wetterdienst
Wetterextreme wie Hitzewellen, langanhaltende Trockenheit oder Starkregen bringen unser tägliches Leben regelmäßig durcheinander. Immer öfter wird deshalb dem Deutschen Wetterdienst (DWD) die Frage gestellt, ob ein gerade aufgetretenes Extremereignis durch den vom Menschen verursachten Klimawandel beeinflusst wurde. Diese spannende Frage können wir mit der Methodik der Attributionsanalysen beantworten. Dieses Forschungsfeld hat sich in den vergangenen Jahren innerhalb der internationalen Klimawissenschaften mit großer Dynamik entwickelt und deutliche Fortschritte ermöglicht. Zu den wichtigsten Akteuren zählt die World Weather Attribution Initiative, die von Dr. Geert Jan van Oldenborgh vom niederländischen Wetterdienst und Dr. Friederike Otto von der Universität Oxford geleitet wird, deren Buch „Wütendes Wetter“ eine verständliche Einführung in die Attributionsforschung und deren Nutzung bietet.
Bei einer Attributionsanalyse stehen zwei Fragen im Vordergrund: Werden bestimmte Extremereignisse, wie zum Beispiel Hitzewellen, häufiger auftreten? Und: Sind diese Extremereignisse heutzutage intensiver als in der Vergangenheit?
Um das beantworten zu können, sind umfangreiche Datensätze und Analysen notwendig. Zugleich müssen wir zwei verschiedene „Welten“ mit einem Modell simulieren. Einerseits die Welt, in der wir aktuell leben und welche alle Einflüsse des Menschen beinhaltet. Anderseits eine Welt ohne menschlichen Einfluss auf die Treibhausgase. Vergleicht man dann beide Simulationen, zeigt sich, ob der Klimawandel die Häufigkeit und Intensität des untersuchten Extremereignisses beeinflusst hat.
Der DWD arbeitet daran, mit dem Erdsystemmodell des Max-Planck-Instituts für Meteorologie (MPI-M), Klimasimulationen ohne menschlichen Einfluss zu erstellen. Diese ergänzen die Klimasimulationen mit menschlichem Einfluss die vom MPI-M im Rahmen der CMIP6-Simulationen bereits erstellt wurden. Mit den verfügbaren Beobachtungdaten und Klimamodelldaten einer Vielzahl von Modellgruppen untersuchen wir gemeinsam mit europäischen Forschungseinrichtungen und nationalen Wetterdiensten einzelne Extremereignisse.
Leider ist Attribution noch nicht für jedes Wetterextrem möglich. Untersuchbar sind aktuell nur großräumige Extremniederschläge, Hitze- und Kältewellen sowie Dürren, die sich über mehrere Bundesländer erstrecken.
Ein eindrückliches Beispiel ist die Hitzewelle Ende Juli 2019 in Teilen West- und Zentraleuropas. In vielen Staaten gab es neue Temperaturrekorde mit Maxima über mehrere Tage in einzelnen Regionen von deutlich über 40 Grad Celsius. Eine Attributionsstudie ergab, dass durch den Einfluss des Klimawandels vergleichbare Hitzewellen nun 10- bis 100-mal häufiger auftreten. Ohne den Klimawandel wäre ein vergleichbares Ereignis hinsichtlich der Temperaturextreme um 1,5 bis 3 Grad kühler gewesen – wir hätten die 40 Grad Celsius nicht erreicht.
Da jede Attributionsanalyse noch sehr zeitintensiv ist, liegen ihre Ergebnisse oft erst drei bis vier Wochen nach dem Extremereignis vor. Der DWD will diesen Prozess deutlich beschleunigen. Unser Ziel ist, möglichst viele bisher manuell durchgeführte Arbeitsschritte zu automatisieren. So soll es künftig möglich sein, schon etwa eine Woche nach einem in Deutschland aufgetretenen Wetterextrem sagen zu können, ob der menschengemachte Klimawandel für eine intensivere Ausprägung gesorgt hat – und falls ja, wie viel wahrscheinlicher der Klimawandel das Extremereignis machte.
Als einer der weltweit ersten nationalen Wetterdienste überführen wir gerade – unterstützt durch das BMBF-Projekt ClimXtreme und den EU-Copernicus-Klimawandeldienst – Attributionsstudien in den Routinebetrieb. Die Attribution von Wetterextremen soll künftig so selbstverständlich sein wie deren Vorhersage. Attributionsanalysen werden damit zu einer Brücke zwischen dem heute erlebten Wetter und den Folgen des Klimawandels – der Klimawandel wird somit greifbar.
Zum Autor
Diplom-Meteorologe Tobias Fuchs ist seit 2019 Vorstandsmitglied und Leiter des Geschäftsbereichs Klima und Umwelt des Deutschen Wetterdienstes (DWD) sowie Mitglied des DKK-Vorstands.
25. März 2021
Bildnachweis Porträt: Bildkraftwerk/DWD; Grafik: DWD
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