Die Stimmen werden lauter. Sie müssen lauter werden. Sie müssen auf die langfristigen Risiken aufmerksam machen, denen die Welt durch den Klimawandel ausgesetzt ist. Dies ist die ernüchternde Einschätzung von fast 1.000 Risikoexperten und weltweit führenden Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft im Global Risks Report 2022 des Weltwirtschaftsforums [1]. Zu den Top 3 der globalen Umweltrisiken wird mittlerweile das Versagen der Menschheit bei der Eindämmung des Klimawandels und der Anpassung an den Klimawandel sowie vom Menschen verursachte Umweltschäden gesehen.
Ein Editorial von Prof. Claudia Traidl-Hoffmann, Medizinische Fakultät der Universität Augsburg
Dabei müsste das Motto der Menschen „Gesund leben auf einer gesunden Erde“ heißen. Dies ist auch der gleichnamige Titel des neuen Hauptgutachtens des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen [2]. Den bedrohlichen Zukunftsperspektiven setzt der WBGU in seinem neuen Gutachten die Vision gesunder Menschen auf einer gesunden Erde entgegen, die für Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft als Orientierung dienen kann. Die Quintessenz ist die Erkenntnis, dass wenn wir gemeinsam handeln auch alle profitieren können. So zeigt der WBGU in seinen fünf Kernpunkten auf, dass (1) die menschliche Gesundheit vom Wohlergehen unserer Ökosysteme und aller darin lebenden Arten abhängt. Das Verschwinden einer einzelnen Art kann sich auf ganze Ökosysteme auswirken (z. B. Ausbreitung von Infektionskrankheiten und Parasiten, Zusammenbrechen von Nahrungsketten). Deshalb müssen (2) die planetaren Leitplanken zukünftig eingehalten werden. Nur wenn wir die Verschmutzung und den Klimawandel aufhalten bzw. eindämmen können, werden wir in der Lage sein die Ökosysteme der Erde und Ihre Bewohner, zu denen auch wir zählen, zu schützen [3]. Da wir einige Veränderungen, die wir begonnen haben, nicht mehr aufhalten können, müssen wir uns darauf vorbereiten.
Deshalb muss (3) die Gesundheitsförderung und Prävention ausgebaut werden. Unsere Gesundheitseinrichtungen müssen resilienter werden gegenüber den globalen Umweltveränderungen. (4) Wir müssen es endlich schaffen Armut und Ungleichheit auf der Welt abzubauen. Ohne Solidarität und Teilhabe wird es für viele Menschen weiterhin kein gesundes Leben geben. Globale Konflikte und Migration werden weiter zunehmen. Aber auch die wachsenden soziale Schieflagen im eigenen Land werden zunehmend Konflikte heraufbeschwören und Populismus fördern. Der WBGU fordert deshalb (5) systemübergreifendes und internationales Handeln. Wir brauchen Kooperationen, ganz neue Konzepte der internationalen verbindlichen Zusammenarbeit, die den globalen Gesundheits- und Umweltkrisen gewachsen sind und selbst eine Vision gesunder Menschen auf einer gesunden Erde verfolgen.
Viele Gesundheitssysteme werden den neuen Herausforderungen durch den Klimawandel nicht gerecht. Insbesondere das deutsche Gesundheitssystem mit seiner Fokussierung auf Heilung einer Krankheit statt Präventionsprogrammen und seinem großen ökologischen Fußabdruck verfehlt es gesunde und nachhaltige Lebensstile zu fördern [4].
Bundesgesundheitsminister Dr. Karl Lauterbach hat jetzt nach „sanftem“ Druck von vielen Seiten erkannt, dass es bundesweite Anstrengungen benötigt, um das Gesundheitssystem klimaresilienter zu machen. Am 13. Juni hat er deshalb in einer Bundespressekonferenz die Vorbereitung eines Hitzeschutzplans für Deutschland ausgerufen. Bayern hat bereits eine Vorreiterrolle eingenommen. Denn bereits im September 2021 wurde die Bayerische Landesarbeitsgemeinschaft Gesundheitsschutz im Klimawandel (LAGIK) gegründet. Die LAGIK unterstützt schon heute die bayerischen Kommunen bei der Erstellung von Hitzeaktionsplänen. Das bayerische Kompetenzzentrum für Gesundheitsschutz im Klimawandel wurde im Februar am bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit installiert und wird in Zukunft interdisziplinär die Koordination der Hitzeschutzmaßnahmen der Kommunen und von Forschungsprojekten zum Klimawandel und Gesundheitsschutz übernehmen.
Doch nicht nur die gesetzlichen Voraussetzungen müssen geschaffen werden. So werden wir weiterhin darauf hinwirken, dass wir als Ärztinnen und Ärzte im direkten Gespräch mit kranken Menschen einen gesunden Lebensstil vermitteln, der gleichzeitig nachhaltig ist und zur Treibhausgasminderung beitragen kann. Mehr aktive Mobilität, mehr Begrünung und Schattenplätze in unseren Gärten. Eine gesunde, ausgewogene, fleischreduzierte Ernährung zählt ebenso dazu. Das sind Dinge, die jeder Mensch selbst und aktiv verfolgen kann, die der Gesundheit guttun und die trotzdem dem Klimaschutz so großartig helfen würden.
Klimaschutz IST Gesundheitsschutz [5]. Das sind kleine Maßnahmen mit großer Wirkung, die wir in den Köpfen der Menschen verankern müssen. Gerade das Gesundheitswesen hat eine große Transformationskraft und kann als Zugpferd für eine nachhaltige Verhaltensveränderung sorgen. Und die brauchen wir, denn laut dem Weltklimarat IPCC bleiben uns nur noch 6 Jahre, um das 1,5°C Ziel für 2050 einzuhalten, falls wir unsere Treibhausgasemissionen nicht ab sofort massiv reduzieren.
[1] World Economic Forum (2022) The Global Risks Report 2022, 17th Edition. World Economic Forum, Davos. www.weforum.org/reports/global-risks-report-2022/in-full
[2] Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) (2023) Hauptgutachten - Gesund leben auf einer gesunden Erde. WBGU, Berlin. www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/gesundleben
[3] Traidl-Hoffmann, C., Schulz, C., Herrmann, M., & Simon, B. (2021) Planetary Health: Klima, Umwelt und Gesundheit im Anthropozän. MWV, Berlin.
[4] Luschkova, D., Ludwig, A. and Traidl-Hoffmann, C. (2021) Klimakrise und deren Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. DMW-Deutsche Medizinische Wochenschrift, 146 (24/25), 1636-1641.
[5] Traidl-Hoffmann, C. and Trippel, K. (2021) Überhitzt. Dudenverlag, Berlin.
Zur Autorin
Claudia Traidl-Hoffmann ist Professorin für Umweltmedizin an der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg, Direktorin des Instituts für Umweltmedizin am Helmholtz Zentrum München und Direktorin der Hochschulambulanz für Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg, sowie stellvertretende Vorsitzende des Zentrums für Klimaresilienz (ZfK). Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt hierbei auf dem Einfluss des Klimawandels auf die Gesundheit und der dadurch nötigen Gesundheitsprävention und Aufbau von Resilienzen. Mit dieser Expertise wurde sie in den Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderungen der Bundesregierung (WBGU) berufen und zur Sonderbeauftragen für Klimaresilienz und Prävention des bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege durch Staatsminister Klaus Holetschek ernannt.
17.08.2023
Bildnachweis: Universität Augsburg
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