Der Aufbau eines Wasserstoffsystems ist unverzichtbarer Bestandteil einer zukünftigen dekarbonisierten Welt. Das hat große Auswirkungen auf die Infrastrukturen der Zukunft – auch in Deutschland: Was muss neu gebaut, was ertüchtigt, was umgestellt werden? Wie organisiert Deutschland die notwendigen Importe grünen Wasserstoffs und seiner Syntheseprodukte? Was sind pragmatische, gleichzeitig nachhaltige Lösungen, die zügig realisiert werden können? Denn mit jedem Jahr, das ohne nennenswerte Veränderungen vergeht, entfernen wir uns weiter von den Zielen des Pariser Abkommens. Die Forscherin Dr. Heidi Heinrichs fasst die aktuelle Debatte zusammen und unterbreitet Vorschläge.
Ein Editorial von Dr. Heidi Heinrichs, Forschungszentrum Jülich
Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine führt uns vor Augen, wie abhängig Deutschland von Energieimporten ist. Deshalb ist es wichtig, auf einen ausgewogenen Energiemix und viele Lieferanten zu setzen. Das heißt auch, dass wir bei der Energiewende schneller vorankommen müssen – das macht uns unabhängiger von Importen und hält den Wirtschaftsstandort Deutschland attraktiv.
Für die Energiewende benötigen wir „Grünen Wasserstoff“ – „grün“, weil er mit erneuerbaren Energien erzeugt wurde – sowie saisonale Speicher, um Schwankungen im Angebot von erneuerbaren Energien sicher auszugleichen, am besten in Untertage-Salzkavernen. Deutschland hat dafür ausgezeichnete geologische Voraussetzungen. Aber hier wie an anderen Stellen der Energiewende ist entscheidend, Maßnahmen schneller umzusetzen. Der Umbau existierender Kavernen braucht „nur“ ein paar Jahre, aber der ebenfalls notwendige Neubau von Speichern kann sich wegen der Genehmigungsverfahren länger hinziehen.
Grüner Wasserstoff muss zum Teil importiert werden. Trotzdem wäre Deutschland in einem Energiesystem der Zukunft, das auf einem breit gestreuten Energiemix basiert, viel weniger von Importen abhängig. Dabei ist die Einfuhr per Schiff viel flexibler, wenn es darum geht, zügig zwischen verschiedenen Wasserstoffexporteuren wechseln zu können. Importe via starrer Pipelines wie beim Erdgas würden uns wieder stark und langfristig an einzelne Lieferanten binden.
Bei Importen per Schiff ist aber zu unterscheiden, in welcher Form der Wasserstoff angeliefert wird. Hier sind z.B. flüssiger, sehr kalter Wasserstoff oder Ammoniak als Wasserstoffträger in der Diskussion. Die erforderlichen Anlagen im industriellen Maßstab werden erst in ein paar Jahren verfügbar sein. Dennoch müssen wir bereits jetzt die Weichen stellen. Bei Ammoniak ist zu beachten, dass er umweltgefährdend und giftig ist und große Mengen Energie notwendig sind, um den enthaltenen Wasserstoff zurückzugewinnen.
Nicht minder wichtig in diesem ganzen Kontext sind die legitimen Interessen der potenziellen Wasserstoff- Exportländer. Nur wenn wir mit ihnen an einem Strang ziehen, haben wir die Chance auf eine stabile Energiepartnerschaft. Aus Projekten wie „H2-Atlas Africa“ wissen wir, dass Länder West- und Südafrikas im Export von Grünem Wasserstoff wirtschaftliche Entwicklungschancen sehen, verbunden mit einer sicheren Energieversorgung der eigenen Bevölkerung. Letzteres müssen wir bei der Ausgestaltung von Energiepartnerschaften mitdenken, ebenso wie eine nachhaltige Wasserversorgung. Um Wasserstoff herzustellen, wird Wasser benötigt. Hier müssen wir heute schon darauf hinwirken, dass Exportländer verpflichtend nachweisen, dass das genutzte Wasser nachhaltig gewonnen wird. Umsichtig ausgelegte Meerwasserentsalzungsanlagen sind eine gute und günstige Option, die auch über die Nutzung für die Wasserstoffproduktion hinaus die lokale Trinkwasserversorgung verbessern könnte.
Schließlich müssen wir beachten, dass wir für die Produktionsanlagen für Grünen Wasserstoff Materialien wie Iridium brauchen, die nur in wenigen Ländern gewonnen oder weiterverarbeitet werden. Das seltene Edelmetall wird für bestimmte Elektrolyseure (PEM) benötigt, die jährliche Weltproduktion ist aber stark von Südafrika mit seinen aktuellen wirtschaftlichen Problemen abhängig. Außerdem würde für die Energiewende viel mehr Iridium benötigt, als aktuell gefördert werden kann. Die Lösung sind geschickte Technologiemixe, damit es nicht zu Materialengpässen kommt.
Zur Autorin
Dr. Heidi Heinrichs leitet die Forschungsgruppe Energiepotenziale und Versorgungspfade am Institut für Energie- und Klimaforschung – Techno-ökonomische Systemanalyse (IEK-3) am Forschungszentrum Jülich. Ergebnisse aktueller Forschungsprojekte umfassen globale Wasserstoffpotenziale und -kosten mit besonderen Fokus auf Afrika.
20.11.2023
Bildnachweis: Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau
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