Kolumne "Zur Sache"

Klimawandel und Gesundheit im Anthropozän

Prof. Dr. Ulrich Pöschl

Das aktuelle Erdzeitalter Anthropozän ist gekennzeichnet von einem weltweit durchdringenden Einfluss menschlicher Aktivitäten in allen Bereichen des Planeten mit Ausnahme des Erdinneren – vom Äquator bis zu den Polkappen und von der Landoberfläche über die Atmosphäre und Biosphäre bis hin zu den Ozeanen und der Tiefsee. Die intensive Nutzung von Land und Wasser sowie der Ausstoß von Treibhausgasen und Luftschadstoffen führen zu Klimaänderungen und belasten Ökosysteme, Biodiversität und die menschliche Gesundheit. Die grundlegenden Zusammenhänge und Auswirkungen sind seit langem bekannt, wissenschaftlich erfasst und vorhersagbar – dazu gehören die globale Erwärmung und der Meeresspiegelanstieg infolge des anthropogen verstärkten Treibhauseffektes.

Ein Editorial von Prof. Dr. Ulrich Pöschl, Max-Planck-Institut für Chemie, Mainz

In der geologischen Epoche des Holozäns, die vor etwa zehntausend Jahren begann, lag die CO2-Konzentration stabil um etwa 280 ppm und auch die Temperaturverteilung und der Meeresspiegel waren im globalen Mittel weitgehend konstant. Unter diesen günstigen und stabilen Bedingungen entwickelte sich die menschliche Zivilisation von der Jungsteinzeit bis zur Neuzeit. Seit der globalen Industrialisierung im 19. Jahrhundert erfolgte jedoch eine starke Zunahme von CO2 und weiteren Treibhausgasen wie Methan (CH4) in der Atmosphäre. Die aktuellen mittleren globalen Treibhausgaskonzentrationen von mehr als 420 ppm CO2 und 1900 ppb CH4 liegen nun nicht nur weit über den stabilen Werten des Holozäns, sondern auch weit außerhalb der natürlichen Schwankungsbreite der jüngeren Erdgeschichte, das heißt, weit jenseits der etwa 200-300 ppm CO2 und 300-800 ppb CH4 in den Eiszeiten und Warmzeiten des Pleistozäns seit rund einer Million Jahren.

Die massiven Konzentrationsveränderungen von Treibhausgasen und anderen Spurengasen in der Atmosphäre zeigen an, wie stark der Mensch in die globalen Stoffkreisläufe des Planeten Erde eingreift. Das gilt besonders für den Kohlenstoffkreislauf durch die Verbrennung fossiler Kraftstoffe und den Stickstoffkreislauf durch die Herstellung und Verwendung von Kunstdünger sowie die Freisetzung von Stickstoffoxiden. Die steile Zunahme der Treibhausgaskonzentrationen außerhalb der natürlichen Schwankungsbreite lässt sich eindeutig auf anthropogene Emissionen zurückführen, und es gibt keine plausible alternative Erklärung dafür. Dasselbe gilt für die rapide globale Erwärmung unserer Zeit, das heißt für die Zunahme der mittleren globalen Oberflächentemperatur um mehr als ein Grad Celsius in den knapp zwei Jahrhunderten von 1850 bis heute.

Seit der Entdeckung und Begriffsbildung des Anthropozäns durch Paul Crutzen und Kollegen gab es verschiedene Vorschläge für dessen Beginn und Datierung. Neben der Industrialisierung im 18./19. Jahrhundert, die zu einem deutlichen Anstieg von CO2 und CH4 in der globalen Atmosphäre und im Polareis führte, wurde auch der Beginn des Ackerbaus in der Jungsteinzeit vorgeschlagen, welcher zu regionalen Veränderungen führte, im globalen Maßstab jedoch kaum nachweisbar ist und mit dem Beginn des klimatisch sehr stabilen Holozäns zusammenfällt. Eine Gleichsetzung des Beginns von Anthropozän und Holozän wäre naturwissenschaftlich weder naheliegend noch nutzbringend, und eine Gleichsetzung mit dem Beginn der Industrialisierung wäre zwar anhand der Zunahme von Treibhausgaskonzentrationen in Eisbohrkernen und ähnlichen Parametern möglich, würde aber nicht den formalenAnforderungen für die offizielle Definition einer geologischen Epoche entsprechen, die in Sedimenten weltweit nachvollziehbar sein sollte.

Dementsprechend schlägt die Anthropozän-Arbeitsgruppe der Internationalen Kommission für Stratigraphie (ICS/IUGS) vor, den Beginn des Anthropozäns anhand von Plutonium-Konzentrationsspitzen festzulegen, die aus radioaktiven Niederschlägen von Atomwaffentests in der Mitte des 20. Jahrhunderts stammen und weltweit nachweisbar sind. In diese Zeit der „großen Beschleunigung“ (Great Acceleration) menschlicher Aktivitäten und Einflussnahme auf das Erdsystem fallen auch besonders hohe Wachstumsraten und Wendepunkte in den charakteristisch S-förmigen Wachstumskurven für die Weltbevölkerung und den weltweiten Primärenergieverbrauch.

Neben klimatischen Veränderungen führen anthropogene Emissionen auch zu einem massiven Anstieg der atmosphärischen Konzentration von Aerosolen wie Ruß und Photooxidantien wie Ozon auf lokaler, regionaler und globaler Ebene. Die Belastung mit Luftschadstoffen führt zu oxidativem Stress in menschlichen, tierischen und pflanzlichen Organismen sowie zu einer Erhöhung von Morbidität und Mortalität durch Atemwegs-, Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen. Epidemiologische und toxikologische Untersuchungen zeigen, dass Schadstoffe aus Verbrennungsprozessen und sonstigen anthropogenen Emissionsquellen weltweit zu den größten Risikofaktoren für die menschliche Gesundheit und Lebenserwartung zählen (World Health Organisation, WHO; Gobal Burden of Disease, GBD).

Weitere wissenschaftliche, technische und gesellschaftliche Fortschritte auf dem Weg zu einer klimaneutralen, umweltschonenden und nachhaltigen Energie- und Kreislaufwirtschaft erscheinen dringend erforderlich, um ein anhaltend stabiles Anthropozän zu erreichen und Gesundheit, Wohlstand und Fortbestand der menschlichen Zivilisation zu sichern. Die Menschheit hätte allen Grund und auch die technischen Fähigkeiten darauf zu achten, dass ihre Lebensgrundlagen nicht schlechter werden oder gar verloren gehen. Aus wissenschaftlicher Sicht liegt es nahe, passende Wege nach den Grundprinzipien des kritischen Rationalismus zu suchen und zu beschreiten, d.h., nach dem jeweils besten Stand des Wissens, aber ohne Absolutheitsanspruch. Der Anthropozän-Begriff hilft kognitiv und emotional zu erkennen und zu kommunizieren: Wir sind in der Lage und haben bereits damit begonnen, den Planeten und unsere Umwelt tiefgreifend zu verändern; also lasst uns versuchen, dabei in die richtige Richtung zu gehen.

 

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Zum Autor

Prof. Dr. Ulrich Pöschl ist Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie und Professor an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Seine Forschungs- und Lehrtätigkeiten liegen im Bereich der Erdsystemchemie und sind fokussiert auf Multiphasenprozesse, d.h., auf Wechselwirkungen zwischen Gasen, Flüssigkeiten und Feststoffen sowie deren Auswirkungen auf Klima und Gesundheit. Darüber hinaus fördert er seit mehr als zwanzig Jahren den offenen Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen und Erkenntnissen (Open Access, Open Science), insbesondere durch interaktives Publizieren mit öffentlicher Fachbegutachtung und Diskussion nach den Prinzipien des kritischen Rationalismus.

 

16.10.2023
Bildnachweis: Max-Planck-Institut für Chemie, Mainz

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