Kolumne "Zur Sache"

Anpassung an den Klimawandel – Die Rolle digitaler Zwillinge

Prof. Dr. Paul Becker

Digitale Zwillinge sind mehr als nur ein Trend – sie sind zu einem unverzichtbaren Werkzeug in vielen Bereichen geworden. Besonders im Kontext der Industrie 4.0, der umfassenden Digitalisierung industrieller Produktion, haben sie sich bereits als bewährtes Hilfsmittel etabliert. Doch auch bei der Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels gewinnen digitale Zwillinge immer mehr an Bedeutung. Ein neuer digitaler Zwilling, der das gesamte Bundesgebiet mit einer beeindruckenden Detailgenauigkeit von unter 20 Zentimeter abbildet, soll diesen Prozess weiter beschleunigen. Erste Anwendungen, wie etwa im Bereich der Starkregenprävention, zeigen bereits das enorme Potenzial dieser Technologie.

Ein Editorial von Prof. Dr. Paul Becker, Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG)

Die Anpassung an die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels erfordert oft komplexe und kostspielige Maßnahmen, die es sorgfältig zu planen gilt. Hier kommen digitale Zwillinge ins Spiel: virtuelle Abbildungen der realen Welt. Sie ermöglichen es, verschiedene Szenarien am Computer zu simulieren, ohne dass teure und unter Umständen risikobehaftete Experimente in der realen Welt durchgeführt werden müssen. Derzeit entwickelt das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie den Digitalen Zwilling Deutschland (DigiZ-DE), der in verschiedenen Ausführungen für unterschiedliche Anwendungsbereiche zur Verfügung stehen wird. Diese digitale Plattform soll als Grundlage für fundierte Entscheidungen in zahlreichen Bereichen dienen.

Das Konzept des DigiZ-DE greift aktiv auf die bewährten Methoden der Industrie 4.0 zurück, bei denen digitale Zwillinge Prozesse und Maßnahmen virtuell testen, bevor sie in der Realität umgesetzt werden. Der Digitale Zwilling Deutschland integriert ein hochauflösendes digitales Oberflächenmodell des gesamten Landes. Die Erfassung der Daten erfolgt mittels LIDAR-Technik, die an Bord von Flugzeugen installiert ist. Diese Technologie erfasst Objekte dreidimensional mit einer beeindruckenden Punktdichte von 40 Punkten pro Quadratmeter und erreicht dabei eine Genauigkeit von unter 20 Zentimetern.

Die Datenerfassung erfolgt innerhalb der kommenden zwei Jahre. Das zu erstellende Modell soll möglichst homogen sein und alle relevanten Landschaftsobjekte wie Häuser, Bäume oder Strommasten abbilden. In dieses 3D-Modell können je nach Bedarf zusätzliche „Points of Interest“ und Fachdaten integriert werden. Um letzteres zu ermöglichen, stehen Schnittstellen der Geodateninfrastruktur Deutschlands (GDI-DE) zur Verfügung.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Digitalen Zwillings ist eine cloudbasierte Plattform. Diese soll den Zugriff auf Daten, Simulationen sowie Auswertungs- und Visualisierungsmöglichkeiten ermöglichen.

Das Potenzial von digitalen Zwillingen für die Klimaanpassung ist enorm. Ein beeindruckendes Beispiel stellt die Starkregengefahrenhinweiskarte für Nordrhein-Westfalen dar. Hierfür wurden Daten aus Klimatologie, Hydrologie und Geodäsie kombiniert, um Überflutungshöhen und Fließgeschwindigkeiten bei starken Regenfällen zu simulieren. Diese Anwendung soll künftig auch auf andere Bundesländer ausgeweitet werden. Ein großes Ziel ist die Echtzeitfähigkeit des Digitalen Zwillings, um unmittelbare Prognosen zu ermöglichen.

Zukünftige Entwicklungen zielen darauf ab, grenzüberschreitende digitale Zwillinge zu schaffen. Aktuell steht die Zusammenarbeit mit Frankreich im Vordergrund. Diese soll auf dem deutsch-französischen Kooperationsvertrag von Aachen aufbauen und die enge Kooperation der beiden Länder im Bereich der digitalen Zwillinge weiter stärken. Auf diesem Weg sind digitale Zwillinge ein hervorragendes Instrument, um über Ländergrenzen hinweg klimatische Veränderungen einzuschätzen und im Ernstfall darauf vorbereitet zu sein. Denn wie wir in den vergangenen Wochen gesehen haben, lässt sich das Hochwasser in Flüssen von einer Ländergrenze nicht aufhalten.

 

Über den Autor

Prof. Dr. Paul Becker ist Präsident des Bundesamtes für Kartographie und Geodäsie in Frankfurt a. M. Zuvor war er Vizepräsident des Deutschen Wetterdienstes in Offenbach. Zusätzlich hat er einen Lehrauftrag an der Goethe-Universität in Frankfurt a. M. Sein Hauptinteresse liegt in der Nutzung von Geoinformationen im Bereich der Sicherheitsbehörden sowie in der Weiterentwicklung von Verfahren zur Satellitennavigation.


16.10.2024

Bildnachweis: BKG

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