Beim „March for Science“ gingen weltweit viele Tausend Forschende auf die Straße, um auf den Wert von freier Wissenschaft hinzuweisen. Nun geht es darum, die Wissenschaftskommunikation an die neuen gesellschaftlichen und medialen Bedingungen anzupassen, fordert Prof. Michael Brüggemann – und liefert Anregungen, wie wir das postfaktische Zeitalter verhindern können.
Ein Editorial von Prof. Dr. Michael Brüggemann, Universität Hamburg
Wissenschaftliches Wissen ist vor allem dann nötig, wenn es um Probleme geht, die mit Alltagsbeobachtung nicht wahrnehmbar und mit Common Sense allein nicht lösbar sind. Der menschengemachte Klimawandel mit seinen langen Zeitspannen und globalen Wechselwirkungen ist der Prototyp eines solchen Phänomens, das wir ohne Wissenschaft nicht sinnvoll beschreiben, verstehen und bearbeiten können. Unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist das eine banale Selbstverständlichkeit – eigentlich überflüssig, diese elementare Rolle zu erwähnen oder dafür zu demonstrieren. Tatsächlich reicht es für Forschende aber nicht mehr, exzellente Wissenschaft hervorzubringen. Denn die politischen und medialen Rahmenbedingungen haben sich geändert. Der britische Guardian hat die aktuellen Entwicklungen, vor allem in den USA, auf ein anschauliches Schlagwort gebracht: „We are approaching the Trumpocene, a new epoch where climate change is just a big scary conspiracy.“ Das Agieren des US-amerikanischen Präsidenten eröffnet den Menschen in Europa einen Ausblick auf das Trumpozän – ein neues Zeitalter, das es zu verhindern gilt.
Das Trumpozän als Negation des Anthropozäns
Das Trumpozän als neue Ära ist die Negation des Anthropozäns. Beim Anthropozän geht es im Kern darum, dass sich die Menschheit ihrer Verantwortung für den Planeten Erde bewusst wird. Als Kommunikationswissenschaftler möchte ich in diesem Beitrag darauf hinweisen, dass für die Ausbildung eines solchen Bewusstseins globaler Verantwortung nicht nur die Wissenschaft, sondern vor allem auch die Wissenschaftskommunikation eine zentrale Rolle spielt. Mit dieser kommunikativen Herausforderung sind ein paar Dutzend versierte Wissenschaftsjournalisten in Elite-Medien und die wenigen darin zu Wort kommenden Experten überfordert. Denn sie haben es nicht nur mit einem sich verändernden politischen Umfeld, sondern auch mit einer veränderten digitalen Medienwelt zu tun.
Das Trumpozän als Schreckensvision ist im Kern durch die Leugnung von Verantwortung und einen Rückzug in Subjektivität und Selbstbezogenheit gekennzeichnet. Menschliches Handeln wird von persönlichen Bedürfnissen, Reflexen und Aversionen gesteuert und auch Politik bedarf keiner Orientierung an Normen oder Fakten, auf die sich die Gesellschaft verständigt hat. Politik ist also postfaktisch und postmoralisch. Ihr Horizont endet an der Grenze des Gesichtsfelds des jeweiligen Politikers: Globale oder langfristige Prozesse wie der Klimawandel sind aus dieser Perspektive gar nicht wahrnehmbar. Damit werden gesellschaftliche Institutionen überflüssig, die der kollektiven Einigung über Tatsachen und Verständigung über Normen dienen. Wissenschaft, Journalismus, Gerichte, Parlamente geraten der persönlichen Selbstverwirklichung von Politikerinnen und Politikern in den Weg, die sich bereits im Trumpozän wähnen.
Digitale Medien ermöglichen das Trumpozän
Digitale Mediennetzwerke sind das natürliche Element des Menschen im Trumpozän, denn sie haben zwei zentrale Eigenschaften: Erstens kann sich jeder Mensch ungefiltert, ohne Abstimmung mit anderen äußern, und zweitens lässt sich vielfache Bestätigung für die eigene Weltsicht finden.
Die erste Eigenschaft der neuen Medienwelt lässt sich gut im Begriff „massenhafter Individualkommunikation“ fassen. Die Massenkommunikation der alten Medien ist überwunden, in der Journalistinnen und Journalisten nach professionellen Grundsätzen das Relevante und das faktisch Richtige herausfiltern und sich Forschende einem Peer Review unterwerfen, bevor sie Ergebnisse nach Außen kommunizieren. Beide Filter fallen in digitalen Netzen weg. Der Journalismus verliert seine Gatekeeper-Rolle. Ungeprüfte, erfundene Informationen gelangen über soziale Netzwerke oder auf Fake-News-Websites genauso in die Öffentlichkeit wie journalistische Produkte. In der Wissenschaft ist es sogar so, dass publizierte Forschung hinter den Bezahlschranken akademischer Journals verschwindet. Webseiten von Forschungsinstitutionen sehen zum Teil so aus, als seien sie zuletzt in den neunziger Jahren aktualisiert worden, während sich Organisationen der professionellen oder als Hobby betriebenen Leugnung des Klimawandels als „Think Tanks“ oder „Institute“ geben. Mimikry, also die Imitation von gesellschaftlichen Institutionen wie Wissenschaft, Journalismus oder auch zivilgesellschaftlichem Engagement, ist eine zentrale Kommunikationsstrategie im Netz und leitet das Orientierungsbedürfnis vieler Mediennutzer in die Irre.
Ein Paradies für Narzissten
Dass sich Menschen dort so frappierend in die Irre führen lassen, hat mit dem zweiten Merkmal von Online-Kommunikation zu tun, das unter dem Stichwort „Filterblase“ gut bekannt ist: Nutzer erfahren online eine vielfältige Bestätigung ihrer Meinungen – unabhängig davon, ob diese gesellschaftlich mehrheitsfähig sind. Dabei kommen psychologische, soziale und technische Mechanismen zusammen. Auch offline wirksam ist die Neigung, eher Inhalte wahrzunehmen, die die eigene Meinung bestätigen und sich Freunde und Kontakte mit ähnlichem Weltbild zu suchen. In sozialen Netzwerken ersetzen diese Freunde aber den Journalismus als Vermittler relevanter Informationen. Webseiten sind mit ähnlich gesinnten Websites vernetzt. Algorithmen verstärken diese sozialen Mechanismen, indem sie uns Suchergebnisse liefern, die den vermuteten Präferenzen entsprechen. Am Ende ist jeder in seiner eigenen Filterblase allein und trifft immer wieder auf sich selbst: ein Paradies für Narzissten. Wobei wir wieder beim Trumpozän wären. Wir können an den Inhalten, die uns in unseren Facebook- und Twitter-Feeds oder als Suchergebnisse von Google begegnen, keineswegs erkennen, was die Gesellschaft insgesamt denkt. Das ist aber genau das, was Menschen tun: Sie nehmen Medieninhalte als Indikator für gesellschaftliche Meinungen und orientieren sich daran. Im Internet führt das dazu, dass sie letztlich ihrer eigenen Meinung immer wieder begegnen und diese für mehrheitsfähig halten.
Die gute Nachricht ist nun, dass wir noch nicht im Trumpozän leben und auch nicht in einer postfaktischen Gesellschaft. Das Internet gibt uns auch Instrumente in die Hand, um gegenzusteuern.
Mit den Instrumenten des Netzes gegensteuern
Der „March of Science“ als eine eher altmodische Form zivilgesellschaftlichen Protests kann daher nur ein Auftakt dafür sein, dass sich auch die Wissenschaft selbst auf allen Medienkanälen massiv zu Wort meldet, wenn wissenschaftliche Fakten systematisch verbogen werden und wissenschaftliche Freiheit eingeschränkt wird. In den USA betrifft dies vorerst nur die Klimawissenschaft, aber der Konflikt zwischen den Akteuren des Trumpozäns und dem Prinzip Wissenschaft ist ein grundsätzlicher. Aus der Wahl Donald Trumps können auch wir lernen, dass verrückte Debatten im Internet, wie sie zum Thema Klimawandel seit Jahrzehnten auf Blogs und auf YouTube stattfinden, langfristig politische Folgen haben können. Dass sie wissenschaftlicher Evidenz entbehren, verhindert nicht, dass daraus Regierungspolitik werden kann.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten daher Debatten über ihre Themen und die Forschung insgesamt aufmerksam beobachten, gerade jenseits der Qualitätsmedien. Es ist nicht damit getan, darauf zu warten, von einem Journalisten zum Interview gebeten oder einer Behörde zu einem Gutachten (inklusive Vertraulichkeitserklärung) aufgefordert zu werden. Die Kommunikationsaufgabe lässt sich auch nicht an wenige, prominente Großwissenschaftler delegieren, die dann in politischen Talkshows sitzen und ihren Kopf für die Zunft hinhalten müssen. Sie werden all zu leicht zu Feindbildern von Klima-, Impf- oder Evolutionsgegnern.
Ein Klick gegen Pseudo-Wissenschaft
Zwar braucht es auch die berühmten Köpfe, an die sich Journalistinnen und Journalisten wenden können, aber das ist eine Arbeitsteilung der alten Medienwelt. Die neue Medienwelt erfordert auch von der Wissenschaft massenhafte Individualkommunikation – jenseits der Grenzen der eigenen Filterblase. Damit ist die begrenzte Zahl an Professorinnen und Professoren zahlenmäßig und zum Teil auch im Hinblick auf ihre Medienkompetenz überfordert. Aber wenn auch Post-Docs, Promovierende und fortgeschrittene Studierende Wissenschaftskommunikation auf Twitter, Blogs, Wikipedia, Facebook und YouTube als Teil ihrer Aufgabe sehen, kann Wissenschaft auch in den Weiten des Webs wirksam werden. Vieles erfordert weniger Aufwand als zu einer Demonstration zu gehen. Schon das Klicken eines Like- oder Weiterleitungsbuttons signalisiert den Algorithmen und anderen Usern: Hier ist etwas, was sich lohnt zu lesen oder anzuschauen. Auch eine Buchkritik bei Amazon kann zukünftige Leserinnen und Leser weg von Pseudo-Wissenschaft und hin zu Inhalten leiten, die auf einer wissenschaftlichen Grundlage ruhen. Es kann doch nicht sein, dass die am häufigsten weitergeleiteten Klimawandel-Geschichten auf Facebook erfundene Lügengeschichten sind. Dabei kann es nicht darum gehen, die Abstreiter des Klimawandels zu beschimpfen. Es geht darum, Lügen richtig zu stellen, und sich dafür zu engagieren, dass reale Wissenschaft wieder sichtbarer wird als Pseudo-Wissenschaft – auf der Straße und in sozialen Netzwerken.
Der Beitrag ist eine aktualisierte Fassung des Vortrags von Prof. Michael Brüggemann auf der diesjährigen DKK-Jahrestagung.
Zum Autor
Prof. Dr. Michael Brüggemann ist Professor für Kommunikationswissenschaft, Klima- und Wissenschaftskommunikation an der Universität Hamburg. Er ist dort sowohl Mitglied des Centrums für Globalisierung und Governance (CGG) als auch des Centrums für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN). Seiner individuellen Massenkommunikation kann auf Twitter und im Blog seines Lehrstuhls gefolgt werden.
25. April 2017
Bildnachweis: © UHH/CEN/D. Ausserhofer
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