Der Sozialwissenschaftler Dr. Oliver Geden fordert, die Treibhausgasneutralität ins Zentrum der politischen Debatte zu rücken. Er ist überzeugt, dass wir so schneller die Kluft zwischen Wissen und Handeln schließen können – global formulierte Temperaturziele böten zu viele Schlupflöcher.
Ein Editorial von Dr. Oliver Geden, Max-Planck-Institut für Meteorologie und Centrum für Globalisierung und Governance
Wenn Anfang Oktober der IPCC-Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel veröffentlicht wird und keine großen Veränderungen eintreten, dürfte ein altbekanntes Ritual zu beobachten sein: Die Wissenschaft warnt, dass uns nur noch wenige Jahre bleiben, um das Ruder herumzureißen. Die Politik kündigt mit großer Geste an, die Emissionen stärker zu reduzieren. Doch selbst bei Vorreitern wie Deutschland und der EU halte ich es für unwahrscheinlich, dass sie ihre Klimaschutzmaßnahmen tatsächlich entsprechend verschärfen – aufgrund von politischen Blockaden und weil es mit großen gesellschaftlichen Veränderungen verbunden wäre.
Ein Temperaturziel – wie es im Pariser Abkommen vereinbart wurde – macht die Sache nicht einfacher. Dazu bietet es viele Schlupflöcher: Es gibt Regierungen große Interpretationsspielräume hinsichtlich ihrer Verantwortung und begünstigt die weit verbreitete Kluft zwischen Reden, Entscheiden und Handeln. Denn für die Klimaforschung ist es nicht möglich, aus den globalen Temperaturzielen „faire“ nationale Beiträge abzuleiten. Deshalb wäre es besser, wenn die politische Debatte das dritte, stärker handlungsorientierte Klimaschutzziel von Paris ins Zentrum stellen würde – das Erreichen von Treibhausgasneutralität.
Konkret spricht das Paris-Abkommen davon, „ein Gleichgewicht zwischen den anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen aus Quellen und dem Abbau solcher Gase durch Senken […] herzustellen“. Daraus folgt nicht, dass alle Emissionen ausnahmslos auf null reduziert werden müssten. Dies wäre in einigen Bereichen – etwa der Landwirtschaft oder dem internationalen Luftverkehr – technisch unmöglich. Der Begriff des Gleichgewichts verweist dementsprechend auf das Konzept, einen Rest an kaum vermeidbaren Emissionen durch den Einsatz von Technologien zu kompensieren, mit denen sich CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernen lässt. Aber um Missverständnisse zu vermeiden: Der weitaus größte Anteil – etwa 95 Prozent – muss und kann durch klassischen Klimaschutz erreicht werden.
Und genau dieses Gleichgewicht als Ziel halte ich für weitaus hilfreicher. Temperaturziele lassen sich zwar leicht als Schwelle zum gefährlichen Klimawandel kommunizieren, offensichtlich fehlen aber die Eigenschaften, die nötig sind, um das Handeln von Regierungen und Unternehmen auch tatsächlich zu steuern.
Nullemissionsziele sind deutlich präziser, leichter zu evaluieren, politisch eher zu erreichen und letztlich auch motivierender. Da mit ihnen das als problematisch geltende Handeln direkt angesprochen wird. Ein Nullemissionsziel zeigt Politik, Medien und Öffentlichkeit recht exakt an, was getan werden muss.
Die Emissionen müssen zunächst ihren Gipfelpunkt erreichen, danach kontinuierlich absinken und schließlich bei null landen. Gemessen daran lässt sich klimapolitisches Handeln leicht transparent machen – nicht nur das Agieren nationaler Regierungen, sondern auch das von Städten, Branchen und einzelnen Unternehmen. Wer das Ziel faktisch ignoriert, kann nicht darüber hinwegtäuschen, indem er auf die Verantwortung anderer verweist. Ob die jeweiligen Emissionen steigen oder sinken, lässt sich relativ einfach erkennen. Wo immer Treibhausgasneutralität zur gesellschaftlich akzeptierten Norm würde, ließen sich neue fossil betriebene Infrastrukturen kaum noch begründen.
Eine Nullemissions-Vision kann auch einen Wettlauf anregen, schneller ans Ziel zu gelangen als andere. Einige Länder haben die Herausforderung bereits angenommen. So will Schweden die Null schon bis 2045 erreichen. Die britische Regierung lässt derzeit die Machbarkeit prüfen, die EU-Kommission dürfte Ende 2018 nachziehen. In Deutschland hingegen hat die Debatte noch nicht begonnen.
Selbstverständlich bietet auch ein Nullemissionsziel keine Garantie dafür, dass alle Klimaschutzmaßnahmen so umgesetzt werden wie geplant. Diese Garantie kann es angesichts einer Perspektive von mehreren Jahrzehnten auch nicht geben. Mit diesem Hang zur Inkonsistenz muss sich die Klimaforschung abfinden. Aber es sollte Regierungen und Unternehmen in Zukunft schwerer gemacht werden, feierlich globale Klimaziele zu unterstützen, jedoch selbst kaum etwas für deren Umsetzung zu tun.
Bildnachweis: Oliver Geden © SWP
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