Kolumne "Zur Sache"

Fünf Erkenntnisse über arktisches Meereis der Jahrhundertexpedition MOSAiC

Ein Jahr eingefroren im Meereis der Arktis – das haben Polarforschende aus 20 Nationen auf dem Forschungseisbrecher Polarstern erlebt und unglaubliche Datenschätze gehoben. Über die Hintergründe, Fortschritte und Erkenntnisse der Meereisforschung berichtet das neu veröffentlichte Buch „DriftStories“.

Ein Editorial von Dr. Renate Treffeisen, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

Einen Winter lang auf einer Eisscholle im Arktischen Ozean zu forschen, blieb für die meisten Meereisspezialisten bisher ein Traum. Zu aufwendig wäre die Expedition, zu unberechenbar das polare Wetter, hieß es immer. Im September 2019 aber begann, was vorher als unmöglich galt. Der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern ließ sich für ein Jahr im Meereis der Arktis einfrieren und bot Polarforschenden aus 20 Nationen die Chance ihres Lebens. In einem Camp auf dem Eis in der zentralen Arktis untersuchten sie rund um die Uhr das Meereis, den Ozean, die Atmosphäre und das Leben im Meer. Sie wurden Zeugen einer gigantischen Transformation des Nordpolargebietes, deren erster Verlierer vermutlich das Meereis sein wird.

Das Redaktionsteam von meereisportal.de hat die auf das Meereis spezialisierten Expeditionsteilnehmenden der Jahrhundertexpedition MOSAiC bei ihrer Arbeit auf dem Eis begleitet und in seinen DriftStories über die Hintergründe, Methoden, Fortschritte und Erkenntnisse der Meereisforschung exklusiv berichtet. Diese DriftStories fassen zehn Wissenschaftsgeschichten zusammen mit dem Ziel, interessierten Leserinnen und Lesern Einblicke in die faszinierende und überraschend komplexe Welt des arktischen Meereises zu gewähren. In den Geschichten können Sie vielleicht ein letztes Mal die Drift des arktischen Meereises verfolgen, wie wir sie bisher kannten. Denn die Tage des weißen Aushängeschildes der Arktis sind längst gezählt.

Fünf Erkenntnisse der Jahrhundertexpedition zum arktischen Meereis:

  • Die MOSAiC-Scholle war bis zu ihrem Zerfall ein repräsentatives Abbild des Meereises in der zentralen Arktis. Damit spiegeln die im Zuge der Expedition durchgeführten Untersuchungen die Umweltbedingungen in der zentralen Arktis sehr genau wider.
  • Auswertungen von Flugzeug-Messdaten zeigen, dass die durchschnittliche Eisdicke in der Framstraße (dort verlässt das Eis den arktischen Ozean) im Jahr 2001 noch 2,6 Meter dick war, mittlerweile jedoch nur noch 2 Meter ist – ein Rückgang um 24 Prozent. Parallel dazu ist die in dieser Region am häufigsten gemessene Eisdicke (modale Eisdicke) von 2 Meter (2001) auf 1,5 Meter (2018) gesunken. Die Abnahme der Eisdicke verlief dabei in Sprüngen.
  • Der AWI-Tauchroboter dokumentierte unter der MOSAiC-Scholle ein Phänomen, welches Polarforscherinnen und -forscher bislang nur aus der Antarktis kannten: Plättcheneis. In der Arktis bilden sich die Eisplättchen in der unterkühlten Wasserschicht direkt unter dem Meereis und wachsen direkt an dessen Unterseite und nicht im freien Wasser. Die Schicht ist nur 10 bis 20 Zentimeter dick.
  • Die Wintertage, an denen es in der zentralen Arktis schneit, lassen sich an einer Hand abzählen. Dennoch entscheidet die Schneemenge auf dem arktischen Meereis ganz maßgeblich darüber, wie schnell das Eis wächst und wann es im Frühling schmilzt. Eine Erkenntnis des einzigartiges Schnee-Forschungsprogramm während MOSAiC ist: Für den lokalen Schneezuwachs auf dem arktischen Meereis scheinen Schneeverwehungen eine viel wichtigere Rolle zu spielen als die Niederschlagsmenge insgesamt.
  • Für Algen hält das Leben im zentralen Arktischen Ozean zwei große Herausforderungen bereit: Zum einen verschwindet die Sonne für mehr als 100 Tage pro Jahr vollständig, zum anderen bremst die starke Schichtung der Wassermassen die Nährstoffzufuhr aus der Tiefe. Wie aber schafft es das pflanzliche Plankton dennoch, die lange Dunkelheit zu überleben und mit der Rückkehr der Sonne wieder durchzustarten? Lesen Sie in den DriftStories, welche raffinierte Strategie die Natur hierzu entwickelt hat!

Die Arktis-Expedition MOSAiC wurde am 12. Oktober 2020 in Bremerhaven beendet. Nun liegt viel Arbeit vor den Forschenden, die gewonnenen, einzigartigen Datenschätze auszuwerten. Hieraus wird die Meereisforschung in den kommenden Jahren neue Erkenntnisse ableiten, die uns besser die Komplexität des arktischen Meereises, sein Zusammenwirken mit dem globalen Klimasystem und damit die rapide Transformation der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Region der Erde, der Arktis, verstehen lassen.

Buch kostenfrei verfügbar

Das Buch ist online sowie als PDF-Download verfügbar und kann auch als Printversion via E-Mail an die REKLIM-Geschäftsstelle in deutscher und englischer Sprache bestellt werden.

 

 

 

 

 

Zur Autorin
Dr. Renate Treffeisen ist Leiterin des Klimabüros für Polargebiete und Meeresspiegelanstieg am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), und mitverantwortlich für die Entwicklung von meereisportal.de. meereisportal.de  ist eine unabhängige Wissens- und Datenplattform, die vom Helmholtz-Forschungsverbund Regionale Klimaänderungen und Mensch (REKLIM) zusammen mit dem Klimabüro für Polargebiete und Meeresspiegelanstieg am AWI initiiert wurde. Sie bietet Meereis-Echzeitdaten aus Arktis und Antarktis sowie Informationen zum Zustand des Meereises für jeden.

 

26. April 2021

Bildnachweis Porträt: Kerstin Rolfes (AWI); Buch-Cover: meereisportal.de

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