Der Erwärmungstrend ist ungebrochen
Der Stand der Wissenschaft ist eindeutig: Wir Menschen haben den größten Teil der beobachteten globalen Erwärmung verursacht – und der damit angestoßene Klimawandel birgt große, schwer abschätzbare Risiken. Das hat der Synthesebericht des Weltklimarats IPCC 2014, auf Grundlage der Arbeiten von über 1.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus aller Welt, erneut hervorgehoben. Seit Beginn der Industrialisierung ist die globale Mitteltemperatur um etwa 1 Grad Celsius angestiegen (von 1880 bis 2014). Der Hauptgrund liegt im Ausstoß von Treibhausgasen, allen voran CO2, das in erster Linie durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe (Kohle, Öl, Gas) zur Energiegewinnung entsteht. Für Deutschland liegt der Temperaturanstieg für den Zeitraum 1881 bis 2014 bei etwa 1,3 Grad. Zwölf der dreizehn global wärmsten Jahre seit Beginn der flächendeckenden instrumentellen Messungen liegen in diesem Jahrhundert. 2014 war das bislang wärmste Jahr, 2015 könnte noch wärmer werden. Selbstverständlich gibt es natürliche Schwankungen, aber der Trend weist klar nach oben.
Das hat Folgen. Weltweit erhöht sich die Zahl extremer Hitzetage mit negativen Auswirkungen zum Beispiel für die menschliche Gesundheit, auch in Deutschland. Betrachtet man alle Landregionen zusammen, ergeben sich weitere Trends. Es häufen sich Extremereignisse wie Starkniederschläge, Hochwasser und Dürren, was immer wieder zu Ernteausfällen, aber auch zur Unterbrechung von Lieferketten führt. Das arktische Meereis hat sich rasant zurückgezogen. Die Eispanzer Grönlands und der Westantarktis und fast alle Gletscher schmelzen und lassen den Meeresspiegel – regional unterschiedlich – steigen. Die Ozeane werden wärmer; sie haben während der letzten 40 Jahre ca. 90 Prozent der Wärme aufgenommen, die durch den Anstieg an Treibhausgasen auf der Erde zurückgehalten worden ist. Und die Ozeane werden saurer, weil sich derzeit ein Viertel des vom Menschen ausgestoßenen CO2 im Meerwasser löst. Beides bedroht das Leben in den Weltmeeren und damit auch eine unserer zentralen Ernährungsgrundlagen. Die tropischen Korallenriffe könnten schon in den kommenden 20 Jahren irreversible Schäden erleiden.
Die deutsche Klimaforschung stellt sich ihrer Verantwortung
Der Nachweis des menschlichen Einflusses auf das Klima basiert auf jahrzehntelanger intensiver Forschung. Die deutsche Klimawissenschaft hat dazu in erheblichem Maße beigetragen. Sie nimmt eine Spitzenposition in der internationalen Klima- und Klimafolgenforschung ein. Mit einer wissenschaftsbasierten Beratung von Politik und Gesellschaft tragen die im Deutschen Klima-Konsortium zusammengeschlossenen Institute zu einem lösungsorientierten Diskurs in der Öffentlichkeit bei.
Die Bewältigung des Klimawandels erfordert Lösungen, die nicht von der Wissenschaft allein gefunden werden können. Es geht auch um Wertentscheidungen und Fragen der Gerechtigkeit, denen sich die Klimawissenschaft als ein Akteur unter vielen in einer demokratischen Gesellschaft stellt.
Vor dem Hintergrund der weitreichenden und sichtbarer werdenden Auswirkungen des Klimawandels wollen wir, die Unterzeichner, heute unsere Hoffnung, aber auch unsere große Sorge zum Ausdruck bringen. Der Klimawandel und seine Folgen gefährden die Lebensgrundlagen der heutigen und erst recht der kommenden Generationen. Die Zeit, in der die Menschheit “eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems“ noch verhindern kann, wie 1992 in Artikel zwei der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro von 154 Staaten beschlossen, wird knapp.
Die Klimapolitik muss sich bewegen
Nach der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls im Jahr 1997 stiegen die Treibhausgasemissionen weiter, trotz der Minderungsanstrengungen in vielen Ländern, insbesondere auch in Deutschland. Der vorläufige Tiefpunkt der internationalen Klimadiplomatie war das Scheitern der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen im Jahr 2009. Die bisherige Bilanz der internationalen Klimaschutzpolitik ist ernüchternd: Die globalen CO2-Emissionen sind seit 1990 um rund 60 Prozent gestiegen.
Inzwischen aber haben sich die Bedingungen geändert, unter denen die Verhandlungen stattfinden: Die Schäden und Veränderungen durch den Klimawandel manifestieren sich immer deutlicher in vielen Regionen der Welt. So sagte der kalifornische Gouverneur Jerry Brown vor einigen Monaten, dass der Klimawandel „kein Witz“ sei und Kalifornien schon jetzt mit den Folgen zu kämpfen habe. Gleichzeitig eröffnen sich längst profitable Geschäftsfelder für Unternehmen jenseits der fossilen Wirtschaft. Einige Staaten sehen grüne Technologien als möglichen Innovationsmotor, der sie im globalen Wettbewerb stärken könnte. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung lag im Jahr 2014 weltweit schon bei fast 23 Prozent (1), in Deutschland bei fast 28 Prozent (2). Papst Franziskus hat in seiner Umweltenzyklika die Ergebnisse der Klimawissenschaft aufgegriffen und seine Argumentation auf ihnen aufgebaut. Er hat damit einen wichtigen Beitrag zur internationalen Akzeptanz wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Klimadebatte geliefert. Weiterhin haben sich die Regierungschefs auf dem G7-Gipfel in Elmau zur Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bekannt.
Jetzt geht es darum, diesen Rückenwind zu nutzen. Die Klimaverhandlungen in Paris bieten die Chance hierzu. Weil CO2 sehr lange in der Atmosphäre verbleibt, ist es aus naturwissenschaftlicher Sicht unerheblich, wann und wo genau es dorthin gelangt. Gesellschaftlich und politisch ist es das nicht: Um radikale, wirtschaftlich schädliche Reduktionsraten von Treibhausgasen in späteren Jahrzehnten zu vermeiden, sollten die weltweiten Treibhausgasemissionen bis spätestens 2020 nicht mehr steigen und danach kräftig sinken. Nur wenn die Dekarbonisierung deutlich vor Ende des Jahrhunderts abgeschlossen ist, haben wir noch eine reelle Chance, die Erderwärmung auf weniger als 2°C zu begrenzen, ein Ziel, auf das sich die Staatengemeinschaft verständigt hat.
Minderungsziele reichen nicht – 2-Grad-Obergrenze ist gefährdet
Die Vereinbarung, dass jeder Staat auf freiwilliger Basis seine Pläne zur Minderung von Treibhausgasen darlegt, die sogenannten INDCs (Intended Nationally Determinded Contributions), hat zu dem Ergebnis geführt, dass die gemeinsamen Anstrengungen nicht ausreichen, um die globale Erwärmung auf unter 2 Grad zu begrenzen. Von den 196 Verhandlungspartnern haben 164 (Stand: 18.11.15) ihre INDCs eingereicht (3). Diese Beiträge können bei sehr optimistischen Extrapolationen der Emissionen nach 2030 auf einen 2,7 Grad-Pfad führen, wie die Partner im Climate Action Tracker (4) in ihrem jüngsten Bericht errechnet haben. Gleichwohl ist es ein Signal der Hoffnung, dass erstmals bei diesen Berechnungen die Zwei vor dem Komma stehen könnte – und damit das Ziel zumindest in Sichtweite ist.
Die INDCs, die derzeit auf dem Tisch liegen, können jedoch nur ein erster Schritt sein. Sind sie ernst gemeint, so können sie ein Signal an Entscheider in Politik und Wirtschaft sein, dass das Zeitalter der fossilen Brennstoffe zu Ende geht. Der Einstieg in den Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft muss sich in den nächsten Jahren massiv beschleunigen, um die Zwei-Grad-Grenze einzuhalten.
Die Obergrenze von 2 Grad Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit ist eine politische Zielsetzung, die aber auf wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Wahrscheinlichkeiten von Klimarisiken beruht. In diesem Zusammenhang ist es wichtig hervorzuheben, dass selbst eine Erwärmung von 2 Grad Celsius gravierende Änderungen nach sich ziehen würde, wie die Bedrohung der Küstenstädte durch den weit über 2100 hinaus weiter steigenden Meeresspiegel, der Untergang von Pazifikinseln, Einbußen in Landwirtschaft und Fischerei oder den Verlust der meisten tropischen Korallenriffe. Dabei ist dieser Wert kein Umschlagpunkt, wie etwa der Siedepunkt des Wassers, sondern er markiert eine Grenze innerhalb eines Kontinuums steigender Risiken. Zusätzlich drohen bei ungebremster Erwärmung Kipp-Punkte im Erdsystem überschritten zu werden – nicht-lineare, nach erdgeschichtlichen Maßstäben relativ rasch und potentiell unaufhaltsam ablaufende Prozesse können ausgelöst werden, etwa im Grönlandeis oder im Amazonas-Regenwald. Aber schon in der heutigen Ein-Grad-Welt schmälern Klimaschäden Wirtschaftswachstum und Entwicklung, vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern, und bedroht der Klimawandel die Ernährungssicherheit und die Sicherheit von Staaten und deren Grenzen.
Der jüngste Synthesebericht des IPCC wird mit dem Aufgreifen des Treibhausgas-Budgets konkret. Er benennt die Menge an Treibhausgasen, bei der die Erwärmung mit hoher Wahrscheinlichkeit auf unter 2 Grad begrenzt werden kann: Um dies zu erreichen, dürfen insgesamt nicht mehr als 2.900 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent in die Atmosphäre gelangen. Im Zeitraum 1870 bis 2011 wurden davon bereits rund 1.900 Milliarden Tonnen "verbraucht", sodass aktuell höchstens noch 1.000 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent in die Atmosphäre gelangen dürfen. In den letzten Jahren lagen die globalen Emissionen bei ca. 50 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr.
Die großen Herausforderungen: Preis auf Emissionen und ressourcenreiche Staaten
Die Begrenzung der Erwärmung auf höchstens 2 Grad kann nur erreicht werden, wenn bis zur Mitte dieses Jahrhunderts die fossilen Brennstoffe im Energiesystem weitgehend durch alternative Energien ersetzt werden und der größte Teil der fossilen Brennstoffe in der Erde bleibt. Mit dem jüngst beschlossenen schrittweisen Ausstieg aus der Braunkohle ist in Deutschland ein erster Schritt in diese Richtung erfolgt.
Klimaökonomen sind sich einig: Ohne einen Preis auf die Emissionen von Treibhausgasen wird ambitionierter Klimaschutz nicht möglich sein. Die Belastung kann durch eine Steuer auf Emissionen oder durch ein Emissionshandelssystem geschehen. Die Treibhausgase kennen keine Ländergrenzen, weshalb wirtschaftswissenschaftlich auch klar ist: Es müsste ein weltweit eingeführter und einheitlicher Preis sein. Das ist kein einfaches Ziel. In der Wissenschaft ist das „Drama der Allmende“ bekannt: Weil vom Schutz des Gemeinschaftsgutes Atmosphäre auch diejenigen profitieren, die nichts dazu beitragen, ist der Handlungsanreiz gering.
Für Staaten mit großen Lagerstätten von Kohle, Öl und Gas bedeutet ein starker Klimaschutz zudem die Entwertung ihrer volkswirtschaftlichen Vermögen. Das erklärt, warum die Länder mit den größten fossilen Reserven bisher als „Bremser“ bei den Klimaverhandlungen aufgetreten sind. Zu fragen ist, wie diesen Ländern Perspektiven für eine wirtschaftliche Entwicklung ohne die Nutzung dieses volkswirtschaftlichen Vermögens ermöglicht werden können. Gegenwärtig werden in den Verhandlungen Finanzhilfen vorwiegend für die Anpassung an den Klimawandel und für den Technologietransfer diskutiert, aber man wird wohl auch darüber nachdenken müssen, wie man für die Länder mit großen fossilen Vorkommen Anreize schaffen kann, sich an dem Ausstieg aus den fossilen Energieträgern zu beteiligen.
Paris kann die Weichen für den Einstieg in die Dekarbonisierung stellen
Die internationalen Klimaverhandlungen der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass das Aushandeln von Reduktionsverpflichtungen in internationalen diplomatischen Verhandlungsrunden extrem schwierig ist. Eine auf internationaler Ebene erzielte, verbindliche und einheitliche Regelung mit einer von allen Partnern akzeptierten Lastenverteilung ist bisher nicht zustande gekommen.
Obwohl auch die INDCs noch weit davon entfernt sind, den Klimawandel auf unter 2 Grad zu begrenzen, könnten sie vom Verfahren her ein erster Schritt in einem globalen Prozess sein. Die COP21 in Paris wird hoffentlich bestätigen, dass sich alle Vertragsstaaten zu eigenen Aktionen im Klimaschutz bekennen. Wenn es darüber hinaus einen Konsens über die Kontrolle und über Transparenz der nationalen Maßnahmen gibt, dann ist zu hoffen, dass sich Investoren und Regierungen in aller Welt an der entstehenden Dynamik orientieren und vermehrt in klimafreundliche Innovationsbranchen investieren – ein sich selbst verstärkender Prozess. Jetzt kommt es auf die nächsten Schritte an. Das in Paris beschlossene Abkommen wird erst 2020 in Kraft treten, somit bleibt Zeit, die vorliegenden INDCs noch einmal zu verschärfen, um die Wahrscheinlichkeit zur Unterschreitung der Zwei-Grad-Obergrenze zu erhöhen. Unabhängig davon muss die Umsetzung der INDCs beobachtet, verifiziert und verglichen werden.
Die freiwilligen Beiträge der INDCs basieren auf nationalen Maßnahmen zur Emissionsminderung. Eine Vielzahl von Staaten, aber auch Regionen oder Städte haben inzwischen CO2-Steuern oder Emissionshandelssysteme eingeführt, mit denen die INDCs umgesetzt werden sollen. Das europäische Emissionshandelssystem ist derzeit das größte, aber es wird in dieser Rolle wahrscheinlich im nächsten Jahr von dem chinesischen System abgelöst. Inzwischen haben 40 Staaten und über 20 Städte, Länder oder Regionen einen Preis für Treibhausgasemissionen eingeführt. Innerhalb dieser Gebiete erfassen die Systeme etwa 50 Prozent der Emissionen, was etwa 7 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalenten entspricht oder 12 Prozent der weltweiten Emissionen. Das zeigt, dass die Idee eines Preises auf Emissionen, die in Kyoto begann und zunächst kaum Wirkung zeigte, zunehmend akzeptiert wird – trotz der bekannten Probleme und Widersprüche. Zwar variieren die Preise und Steuern noch sehr stark, aber es ist abzusehen, dass Treibhausgasemissionen immer mehr in die Wirtschaftsabläufe als Kostenfaktor integriert werden. Paris könnte Rahmenbedingungen formulieren, damit die derzeit so unterschiedlichen Maßnahmen besser miteinander verknüpft und integriert werden und so mehr Wirkung entfalten könnten.
Für die Klimaforschung ergeben sich hier neue Aufgaben, diese gesellschaftlichen Dynamiken besser zu fassen und politische wie ökonomische Möglichkeiten ihrer Verstärkung aufzuzeigen. Im DKK-Positionspapier „Perspektiven für die Klimaforschung 2015 bis 2025“ äußern wir uns dazu ausführlich.
Noch haben wir es in der Hand, die Erderwärmung auf unterhalb von 2 Grad zu begrenzen. Dazu ist allerdings couragiertes und schnelles Handeln auf der weltpolitischen Ebene erforderlich. Wir verleihen unserer Hoffnung Ausdruck, dass die 21. Vertragsstaatenkonferenz zur Klimarahmenkonvention in Paris die Zeichen der Zeit erkennt und entsprechend mutige Schritte zum Klimaschutz beschließt.
Dr. Paul Becker, Deutscher Wetterdienst
Prof. Dr. Gernot Klepper, Institut für Weltwirtschaft
Prof. Dr. Mojib Latif, GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel
Prof. Dr. Jochem Marotzke, Max-Planck-Institut für Meteorologie
Prof. Dr. Monika Rhein, Institut für Umweltphysik - Zentrum für Marine Umweltwissenschaften IUP-MARUM, Universität Bremen
Prof. Dr. Hans Joachim Schellnhuber, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
(1) REN21: Renewables 2015 – Global Status Report, S. 30; unter: www.ren21.net/wp-content/uploads/2015/07/REN12-GSR2015_Onlinebook_low1.pdf
(2) Arbeitsgruppe Erneuerbare Energien-Statistik (AGEE-Stat), unter: www.erneuerbare-energien.de
(3) http://climateactiontracker.org/indcs.html
(4) http://climateactiontracker.org/global/173/CAT-Emissions-Gaps.html
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