DKK-Jahrestagung 2024

Klimadiskurs 2024: von der Zumutung, über Zumutungen zu sprechen

Am Donnerstag, den 25. April 2024, fand die Jahrestagung des Deutschen Klima Konsortiums (DKK) in Berlin statt. Am Vormittag tagten die Mitglieder intern zur zunehmend problematischen Kommunikation des 1,5 Grad Ziels und am Nachmittag ging es zusammen mit Gästen aus Politik und Zivilgesellschaft um die Frage, wie der Klima- und Umweltschutz wieder gezielt in den Fokus der politischen Agenda gerückt werden kann.

 

Am Vormittag kamen Vertretende der DKK-Mitgliedsinstitutionen für einen internen Austausch zu einem Thema zusammen, das viele in der Klimawissenschaft umtreibt: wie kommunizieren wir das 1,5 Grad-Ziel, wenn die Einhaltung dieses Limits zunehmend außer Reichweite gerät? Die Ergebnisse bilden den Ausgangspunkt für eine Empfehlung des DKK, die nun erarbeitet wird.

Am Nachmittag empfing das DKK zusätzlich Gäste aus Politik, Zivilgesellschaft und Wissenschaft, um die Frage zu diskutieren, wie die Klimapolitik aus ihrer jetzigen Defensive herauskommen kann. Nach einem klimapolitisch ambitionierten Start der Bundesregierung im Jahr 2021 bestimmen heute der eskalierte Streit um das Gebäudeenergiegesetz oder die Blockaden von Innenstädten und Autobahnen durch Traktoren das Bild.

Der Soziologe Armin Nassehi der Ludwig-Maximilians-Universität München und die Historikerin Hedwig Richter der Bundeswehr Universität München hielten jeweils eine Keynote. Moderiert wurde der Nachmittag von der Journalistin und Autorin Dr. Tanja Busse.

Armin Nassehi © DKK L. Zeh
Armin Nassehi © DKK L. Zeh

Armin Nassehi: Veränderung geschieht auf unerwartete Weise und erfordert Gewöhnung

Nassehi nahm sich für seinen Vortrag eine „Trägheitsanalyse“ vor: Wie können Gesellschaften aus festgefahrenen Routinen herauskommen und notwendige Veränderungen voranbringen? Nassehi verdeutlichte gleich zu Beginn seine systemtheoretische Herangehensweise: Eine Gesellschaft dürfe nicht als Summe von individuellen Handlungen verstanden werden, sondern als Aggregat wechselseitiger Handlungsbeziehungen.

Nassehi beschrieb den naturalistischen Fehlschluss, der besonders im akademischen Milieu anzutreffen sei. Nur, weil eine Situation einen dringenden Handlungsbedarf erfordere, bedeute dies noch lange nicht, dass die dafür notwendigen Handlungen unmittelbar umsetzbar sind - Veränderungsprozesse seien langwierig und träge.

Es sei zudem eine folgenreiche Fehlentwicklung, dass der Klimaschutzdiskurs als ein allein “grün-politisches” Thema eingeordnet werde. Denn Nassehi ist zuversichtlich, dass Klimaschutz weniger von Mitte-Links-Akteuren, sondern eher von Mitte-Rechts-Akteuren vorangebracht werden könne. Das zeigt ein Blick in die Geschichte der Bundesrepublik: richtungsweisende politische Entscheidungen konnten immer nur von den Akteuren durchgesetzt werden, die mit diesem Politik-Thema im eigenen Lager mit den größten Widerständen rechnen mussten. Beispiele sind die Westbindung durch Konrad Adenauer, die Ostpolitik durch Willy Brandt, Arbeitsmarktreformen durch einen Sozialdemokraten und die Migrationspolitik in der Flüchtlingskrise durch eine CDU-Kanzlerin.

Damit gesellschaftliche Veränderungen möglich sein können, müsse nach Nassehi ein Lernprozess erfolgen, der das veränderte Verhalten zur Routine werden lasse. Das sei der Moment, wenn Abläufe ohne Reflektionsmomente stattfinden können. Als Beispiel nennt Nassehi das Lernen des Autofahrens. Am Anfang denken Lernende an jeder Kreuzung über die Bedeutung sämtlicher Schilder nach; doch nach einiger Zeit werden diese Momente der Reflektion immer seltener.

Für eine gesellschaftliche Transformation müssten sich spezifische Milieus erst an die Veränderungen gewöhnen. Als Beispiel nennt Nassehi Arbeitgeberverbände, die sich erst gegen neue Arbeitsschutzstandards gewehrt haben, aber nach einer Gewöhnungsphase auf internationaler Ebene mit diesen Standards geprahlt hätten. Dies verdeutliche die Verknüpfung von Zumutung und Gewöhnung. Nassehi ergänzt, dass Zumutungen aber nur dann umsetzbar seien, wenn die Betroffenen dafür mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet sind.

Hedwig Richter © DKK L. Zeh
Hedwig Richter © DKK L. Zeh

Hedwig Richter: Klimawandel und Artensterben gefährden unsere Demokratie

Hedwig Richter machte zu Beginn ihres Inputs auf den Konsens in der Geschichtswissenschaft aufmerksam, dass es auf Strukturen und auf Individuen ankommt: Individuen sind zwar von Strukturen geprägt, können aber durchaus gesellschaftliche Veränderungen anstoßen. Um mit unseren derzeitigen Problemlagen umgehen zu können, müssen wir, so Richter, eine „neue Grammatik“ lernen.


Die „alte Grammatik“ der westlichen Gesellschaften sind nach Richter von den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts geprägt. Für diese Prägung ausschlaggebend seien die beiden totalitären Herrschaftsformen Faschismus und Kommunismus der ersten und der anschließende Siegeszug von Demokratie und Menschenrechten in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts. Diese Erfahrungen hätten zu der Überzeugung geführt, dass demokratische Eliten dem Volk in der Regel misstrauen müssten. Besonders die deutsche Bevölkerung müsse Acht geben, sich nicht erneut auf Verführungen des Totalitarismus einzulassen. Damit verbunden sei per se eine Skepsis Weltanschauungen oder dem leidenschaftlichen Eintreten für Normen und Werte oder Tugenden gegenüber: Wachsender Wohlstand und Konsum hingegen würden als essentiell, pazifizierend, ergo demokratisch wahrgenommen.

Das 21. Jahrhundert bringt nach Richter dagegen völlig neue Singularitäten mit sich, die auch mit einer „neuen Grammatik“ verstanden werden müssten. Die heraufziehenden katastrophalen Zustände sind heute vorhersehbar, ja berechenbar. Entscheidungen “auf die lange Bank zu schieben”, trage nicht zu einer Politik der ruhigen Hand, sondern zur Verschärfung der Katastrophen bei. Die Normalität des Konsums sei heutzutage kein Garant mehr gegen die Katastrophe, sondern ihre wesentliche Quelle. Der bürgerliche Habitus des „Weiter-So“, der darauf beharrt, dass tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen nicht notwendig seien, wird vor diesem Hintergrund zur “apokalyptische Ideologie”. Eine neue ökologisch handelnde Bürgerlichkeit vertrete heute vielmehr klassische (fast aus der Mode gekommene) Werte wie Anstand, Disziplin, Solidarität, Moral, Vernunft und Augenmaß. Richter nennt zwei weitere Singularitäten dieses Jahrhunderts: Freiheit kann materiell aufgebraucht werden, besonders zuungunsten späterer Generationen. Und: Die Demokratie werde durch den Klimawandel und das Artensterben essentiell gefährdet – bei einem Nicht-Handeln nehmen zunehmend Notstandsregime den Platz eines demokratischen Rechtsstaates ein.

In einer darauffolgenden kurzen Diskussion mit Richter betonte Nassehi, dass sich aufgrund des komplexen Zusammenspiels von Politik, Gesellschaft und Klima nicht endgültig sagen lasse, welche einzelnen Auswirkungen bestimmte politische Entscheidungen haben. Richter beschrieb eine sogenannte “Teleologie” der Klimawissenschaft: die ökologische Notlage führe dazu, dass sich Politik grundlegend verändern müsse.

Diskussion zwischen Armin Nassehi und Hedwig Richter moderiert von Tanja Busse (Mitte) © DKK L. Zeh
Diskussion zwischen Armin Nassehi und Hedwig Richter moderiert von Tanja Busse (Mitte) © DKK L. Zeh

 

Wissenschaft und Politik im Dialog: “Apokalypsen-Narrativ” oder positive Erzählung?

Im anschließenden Panel tauschten sich die Wissenschaftlerin und der Wissenschaftler mit der Politik aus. Lisa Badum, Bundestagsabgeordnete der Fraktion Bündnis90/Die Grünen und Obfrau im Ausschuss für Klimaschutz und Energie, Dr. Thomas Gebhart, Bundestagsabgeordneter der CDU/CSU-Fraktion und ebenso Obmann im Ausschuss für Klimaschutz und Energie sowie Christian Büchter, Referatsleiter für Klimaschutzpolitik im Bundeskanzleramt waren gekommen.

 

 

 
Panel mit Armin Nassehi, Christian Büchter, Lisa Badum, Thomas Gebhart und Hedwig Richter (von links nach rechts) geleitet von Tanja Busse (Mitte) © DKK L. Zeh
Panel mit Armin Nassehi, Christian Büchter, Lisa Badum, Thomas Gebhart und Hedwig Richter (von links nach rechts) geleitet von Tanja Busse (Mitte) © DKK L. Zeh

Einen Streitpunkt bildete bereits die Einschätzung, wie gravierend das Ausmaß des Klimawandels und des Artensterbens ist. Während auf der einen Seite argumentiert wurde, dass Deutschland bereits in der Vergangenheit ökologische Krisen gelöst habe; wurde dies von anderen Panelteilnehmenden klar zurückgewiesen: die heutige klimatische und ökologische Situation sein von ganz anderer Dimension als Deutschlands Umweltprobleme der 80er Jahre.

Eine weitere Meinungsverschiedenheit bezog sich auf die Frage, wie schnell und wie radikal Politiker:innen einen Kurswechsel in der Klima- und Umweltpolitik überhaupt umsetzen könnten. Einerseits wurde argumentiert, dass es angesichts des Klimawandels und des Artensterbens nun eine mutigere Politik brauche. Besonders kritisiert wurde hierbei Bundeskanzler Olaf Scholz, der anstatt auf einer erwachsenen und ehrlichen Ebene zu kommunizieren, mit dem Versprechen, die Bürger:innen würde die Transformation kaum belasten, weil für alle und alles gesorgt sei, eine Illusion aufbaue. Dem wurde entgegengehalten, dass ein harter Kurswechsel der Klima- und Umweltpolitik verbunden mit verstärkten Zumutungen für Bürger:innen nur schwer zu vermitteln sei und die Sicherung von Mehrheiten riskiere. Ein solches Risiko sei für jeden Politiker und jede Politikerin viel zu groß, zumal er oder sie bei Abwahl nichts mehr gestalten könne. Ein Ausweg aus dem Streit, ob und wenn ja welche Zumutungen realistisch sein, sahen einige darin, viel stärker in die grundlegende Infrastruktur und Transformation des Landes zu investieren.

Auch bezüglich einer wirksamen Klima-Kommunikation schieden sich die Geister. Auf der einen Seite wurde für positive Narrative geworben, die Veränderungen motivierten. Es solle nur in begrenztem Maße um Zumutungen gehen; im Vordergrund sollten die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Co-Benefits des Klimaschutzes kommuniziert werden. Die andere Seite forderte eine „apokalyptische“ Erzählweise ein. Denn die akute ökologische Situation sei so gravierend und einmalig, dass nur ein solches Narrativ Menschen aus ihrer Komfort-Zone und ins Handeln bringen könnten.  

Auch der problematische Einfluss der Fossil-Branche auf politische Entscheidungen war ein Thema. Gerade in Berlin würden hunderte Lobbyisten sitzen, die für eine verlängerte Verwendung fossiler Gase arbeiteten. Dies müsse viel stärker berücksichtigt werden.

Zum Schluss fasste Jochem Marotzke, DKK-Vorstandsvorsitzender und Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie zentrale Punkte der Diskussion zusammen. Marotzke beschrieb die Tragödie der Allmende. Sie besteht darin, dass kurzfristige Vorteile in der Regel immer einen größeren Anreiz darstellen, als ein in der Zukunft liegender kollektiver Gewinn, auch wenn dieser den Erhalt der Lebensgrundlagen bedeutet. Marotzke lobte daher im Panel gefallene Aussagen, dass sich Klimaschutz für Individuen wirtschaftlich lohnen müsse. Dies sei empirisch evident und Teil einer positiven Erzählung.

Marotzke wies darauf hin, dass der Begriff der „Klimakrise” für die planetaren Veränderungen die wir erleben, kaum hilfreich sei. Das Klima verändere sich langfristig über Jahrzehnte bis Jahrhunderte und erfordere – anders als in einer Krise im klassischen Sinne – dauerhaft und in ganz anderer Dimension Maßnahmen der Risikovorsorge und Anpassung. Nach Marotzke seien die meisten der Klimawissenschaftler:innen nicht der Ansicht, dass die Katastrophe direkt „um die Ecke warte“. Er betonte zudem – an dieser Stelle stimmte er Nassehi zu – dass die Verwendung des „Apokalypsen-Narrativs“ unverantwortlich sei: Dieses lähme politisch und mache Bürger:innen in erster Linie Angst.

 

Veränderung geschieht auf unerwartete Weise und erfordert Gewöhnung
Prof. Dr. Armin Nassehi

LMU München

Klimawandel und Artensterben gefährden unsere Demokratie
Prof. Dr. Hedwig Richter

Universität der Bundeswehr München

Top

© 2024 DKK - all rights reserved