Berliner Klimadialog 2023

UBA-Zahlen: Sorgenkinder und Hoffnungsträger auf dem Weg zur Klimaneutralität

 

Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral werden, besagt das Klimaschutzgesetz. Ob die Treibhausgas-Emissionen tatsächlich so sinken, dass dieses Ziel eingehalten werden kann, überprüft jährlich das Umweltbundesamt. Am Tag nach der Veröffentlichung des neuen UBA-Berichts diskutierten der Präsident des Umweltbundesamtes und Wissenschaftlerinnen der Helmholtz-Klima-Initiative mit Vertreter:innen des Bundestags über das, was nun ansteht.

Am 15. März 2023 erschienen die aktuellen Zahlen des UBA zu den Entwicklungen der Emissionen Deutschlands in den Sektoren Energie, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft. Die gute Nachricht: Deutschland konnte seine Klimaschutzversprechen einhalten, die Emissionen sanken 2022 um 1,9 Prozent. Die schlechte Nachricht ist aber: Langfristig reicht diese Reduktion nicht aus. Um das nationale Klimaziel zu erreichen und den Treibhausgas-Ausstoß bis 2045 um 65 Prozent gegenüber 1990 zu verringern, müssen Deutschlands Emissionen deutlich stärker sinken – nicht nur um zwei, sondern um sechs Prozent pro Jahr.

Beim parlamentarischen Frühstück in Berlin mahnte Prof. Dr. Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, daher ein deutlich höheres Tempo an: „Jetzt geht es um eine enorme Beschleunigung“, so der Nachhaltigkeitsforscher. Kritische Sektoren seien dabei Energie, Verkehr und Gebäude. In der Energiewirtschaft habe Deutschland seine Klimaziele für 2022 knapp erreicht, bei Verkehr und Gebäuden wurden die Klimaziele im vergangenen Jahr verfehlt. Die Verkehrsemissionen stiegen im Vergleich zum Vorjahr sogar weiter an.

Was muss passieren, um den Klimaschutz in Deutschland in dem Tempo voranzutreiben, wie es das Gesetz vorsieht? Beim dritten Berliner KlimaDialog, zu dem das Deutsche Klima-Konsortium (DKK) und die Helmholtz-Klima-Initiative Vertreter:innen aller Fraktionen des Bundestags eingeladen hatten, debattierten der Präsident des UBA, Dr.-Ing. Heidi Heinrichs vom Forschungszentrum Jülich und Dr. Charlotte Unger vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) ihre Erkenntnisse zu den Herausforderungen der Dekarbonisierung.

Wo es beim Klimaschutz besonders hakt

  • Energie: Die Erneuerbaren müssen dreimal schneller ausgebaut werden als bisher.
  • Gebäude: Auch hier sind die Emissionen zu hoch, es muss schnell umgebaut werden.
  • Verkehr: Ist das Sorgenkind der Klimaneutralität – ein konkreter Plan fehlt noch.
  • International: Global muss der Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 halbiert werden.

Der Ausbau der Erneuerbaren käme auch der Energiesicherheit zugute, weil er die Import-Abhängigkeit senke, erklärte Heidi Heinrichs vom Forschungszentrum Jülich beim KlimaDialog. Weil Wind und Sonne aber nicht ständig vorhanden sind, kommt das Energiesystem der Zukunft nicht ohne umfangreiche Speicherung aus.

Was braucht der grüne Wasserstoff?

Grüner, mithilfe von erneuerbaren Energien hergestellter Wasserstoff, sei das vielversprechendste Speichermedium, als Speicherort hätten Salzkavernen in Deutschland ein besonders hohes Potential, sagte Heinrichs. Denn das technologische Know-how und die geologischen Gegebenheiten hierzulande wären gut. Allerdings würde der Umbau von Öl- und Gas-Kavernen bis zu fünf Jahre benötigen, und es brauche auch neue Speicher. Dabei müsse man sogar mit bis zu zehn Jahren Plan- und Bauzeit rechnen. Die Zeit sei knapp, denn die Szenarien ergäben einen Bedarf von über 400 solcher Kavernen bis 2045 – und nur wenige Firmen seien auf diese Technik spezialisiert.

Ähnlichen Beschränkungen begegne der Wasserstoffsektor bei den Importen, hob Heinrichs hervor. Da Pipelines geopolitischen Risiken ausgesetzt seien – wie gerade im Ukraine-Konflikt schmerzhaft erfahren –, sei der Transport von Flüssigwasserstoff mit Schiffen die resilientere Lösung. Allerdings seien die Schiffe, die Wasserstoff transportieren könnten, noch nicht gebaut und die Werften in Deutschland und Europa noch nicht auf diese neue Herausforderung ausgerichtet.

Zudem könnten neue Technologien problematische Abhängigkeiten von kritischen Materialien schaffen, wie es das Beispiel Iridium zeige. Auf dem Weg zur Wasserstoff-Wirtschaft sollten diese Probleme heute schon strategisch angegangen werden.

Die soziale und technische Transformation müssen zusammen gedacht werden

Charlotte Unger vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit betonte die sozial- und politikwissenschaftlichen Aspekte der anstehenden großen Transformation. Dass allein Technologie die Probleme lösen könne, sei ein „Fehlglaube“, so Unger. Auch ökonomische Lösungen wie ein CO2-Preis könnten immer nur ein Teil der Lösung sein – als Teil des Instrumentenmix’.

Wichtig seien verbindliche Zielsetzungen auf verschiedenen Ebenen und realistische Zeithorizonte für die klimafreundliche Wende in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Das definiere und kommuniziere Verantwortung, Transparenz, Glaubwürdigkeit und Ehrlichkeit in der laufenden Transformation. Das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2045 steht dabei für unsere Vision der Transformation, konkrete Ziele und Meilensteine für die einzelnen Sektoren förderten die Umsetzung, erläuterte Unger.

In vielen Bereichen beginne die Zukunft schon jetzt, sagte die Wissenschaftlerin, denn der Auf- und Umbau von nachhaltigen Infrastrukturen könne Jahrzehnte dauern und würde die Entwicklung für noch längere Zeit prägen. Auch die Gesellschaft brauche Zeit, Kommunikation und Austausch für eine erfolgreiche Transformation – etwa für die Einsicht, dass es auch möglich sei, auf manches ganz zu verzichten.

Positive Vision statt Narrativ von Verzicht und Verlust

Die Sorge vor einer wachsenden Polarisierung in der Gesellschaft angesichts der anstehenden enormen Veränderungen teilten viele der Anwesenden aus Wissenschaft und Politik. Nicht geholfen habe da die Behauptung, es gäbe „einen Klimaschutz, den keiner merkt“, bemerkte UBA-Präsident Messner. Die Transformation als Zumutung darzustellen, voller Verzicht und Verlust, sei das andere Extrem. Stattdessen hält Messner es für wichtig, die öffentliche Wahrnehmung in Richtung einer positiven Vision der anstehenden Modernisierung zu verändern.

„Ich vermisse da Ehrlichkeit in der politischen Debatte, ob es nun um Elektromobilität oder synthetische Kraftstoffe geht“, sagte Charlotte Unger. „Weitermachen wie bisher geht nun mal einfach nicht. Und das ist das, was allen langsam klar werden muss.“ Im Dialog mit Bürger:innen auf Augenhöhe, die Austausch und Teilhabe auf Augenhöhe organisieren,
habe man im Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit gute Erfahrungen gemacht. Bürger:innen seien bereit, den Weg Richtung Klimaneutralität mit zu gehen.

„Wir müssen mehr miteinander reden“, resümierte UBA-Präsident Messner. Marie-Luise Beck vom DKK, die die Veranstaltung moderierte, stimmte zu: „Es gibt einen enormem Redebedarf in der Gesellschaft, um in dieser hochdynamischen Zeit den Überblick zu behalten.“

Inputs der Expert:innen

  • Prof. Dr. Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamts (UBA) zu den Kernergebnissen des Berichts
  • Dr.-Ing. Heidi Heinrichs vom Institut für techno-ökonomische Systemanalyse (IEK-3), Forschungszentrum Jülich, zu Energieversorgungssicherheit in der Energietransformation.
  • Dr. Charlotte Unger vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit, Helmholtz-Zentrum Potsdam (RIFS, vormals IASS), zur gesellschaftlichen Dimension der Klimapolitik in Deutschland und der Rolle des industriellen Sektors.

Gallery

Dr.-Ing. Heidi Heinrichs, Parlamentarisches Frühstück Berliner Klimadialog 2023 © DKK, Stephan Roehl
Prof. Dr. Dirk Messner, Parlamentarisches Frühstück Berliner Klimadialog 2023 © DKK, Stephan Roehl
Dr. Charlotte Unger, Parlamentarisches Frühstück Berliner Klimadialog 2023 © DKK, Stephan Roehl
Dr.-Ing. Heidi Heinrichs, Parlamentarisches Frühstück Berliner Klimadialog 2023 © DKK, Stephan Roehl
Marie-Luise Beck, Geschäftsführerin des DKK, Parlamentarisches Frühstück Berliner Klimadialog 2023 © DKK, Stephan Roehl
Dr. Charlotte Unger, Parlamentarisches Frühstück Berliner Klimadialog 2023 © DKK, Stephan Roehl
Prof. Dr. Dirk Messner und Marie-Luise Beck, Parlamentarisches Frühstück Berliner Klimadialog 2023 © DKK, Stephan Roehl
Parlamentarisches Frühstück Berliner Klimadialog 2023 © DKK, Stephan Roehl
Prof. Dr. Dirk Messner und Marie-Luise Beck, Parlamentarisches Frühstück Berliner Klimadialog 2023 © DKK, Stephan Roehl

Bildnachweis: DKK, S. Roehl

16. März 2023

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