Indonesien will seine Hauptstadt von Jakarta nach Borneo verlegen, da die Stadt zu versinken droht. Venedig stand im November dreimal zu großen Teilen unter Wasser, die Pegel stiegen auf mehr als 1,50 Meter. Ereignisse wie diese werden durch die steigenden Meeresspiegel verstärkt. Etwa 680 Millionen Menschen leben in der direkten Umgebung von Küsten oder auf kleinen Inseln. Ihr Leben und auch Überleben hängt unmittelbar von dem Niveau der zukünftigen Meeresspiegel ab: kleine Inselstaaten wie Kiribati, Tuvalu oder Fidschi könnten im Meer verschwinden, Sturmfluten häufiger und höher auflaufen. Um den Klimawandel und damit auch den Meeresspiegelanstieg zu begrenzen, einigte sich die Weltgemeinschaft 2015 auf das Übereinkommen von Paris. Dessen Umsetzung wird auf den jährlichen Weltklimakonferenzen verhandelt.
„Der globale Meeresspiegelanstieg hat sich bereits beschleunigt. Das liegt auch daran, dass die Eisschilde in Grönland und der Antarktis immer schneller abschmelzen. Wie sich der Anstieg in Zukunft entwickeln wird, hängt stark davon ab, wie viele Treibhausgase die Menschheit noch ausstoßen wird. Der Ankündigung von ambitionierteren Klimazielen sollten jetzt wirksame Maßnahmen folgen, damit die CO2-Emissionen schnell sinken. Denn im Moment sind wir auf dem Weg in eine Vier-Grad-Welt mit drastischen Folgen für die nächsten Generationen. Sollte ein sogenannter Kipp-Punkt des Klimas überschritten werden, besteht das Risiko, dass die Eisschilde über die Jahrtausende komplett abschmelzen, selbst wenn die Menschen dann keine Treibhausgase mehr ausstoßen. Deshalb ist es wichtig, dass wir schnell handeln,“ erklärt Professor Detlef Stammer, Direktor des Centrums für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg. Stammer leitete die Erstellung der Broschüre „Zukunft der Meeresspiegel“ des Deutschen Klima-Konsortiums (DKK) und des Konsortiums Deutsche Meeresforschung (KDM).
Um solche Trends und Projektionen errechnen und beurteilen zu können, arbeitet die Wissenschaft mit einem Durchschnittswert, dem globalen mittleren Meeresspiegelanstieg. Jedoch steigen die Meeresspiegel nicht gleichmäßig wie in einer Badewanne. Es existieren erhebliche regionale Unterschiede, weshalb in der Wissenschaft häufig im Plural von Meeresspiegeln gesprochen wird.
„Das größte Risiko stellt nicht der Meeresspiegelanstieg allein dar, sondern seine verstärkende Wirkung bei Sturmfluten. Die Belastung der Küstenschutzbauwerke erhöht sich, Seegang und Wellen nagen an den Küsten, die Erosion nimmt zu. Auf diese zunehmende Belastung müssen wir uns als Gesellschaft vorbereiten und uns daran anpassen. Werden heute etwa neue Infrastrukturen gebaut, sind diese meist mit robusten Schutzsystemen ausgestattet, die den zukünftigen Anstieg bereits berücksichtigen – alte müssen erhöht und verstärkt werden. Es gilt zusätzlich die Leistungen der Natur miteinzubeziehen sowie den natürlichen Küstenraum zu erhalten. Salzwiesen im Vorland entziehen zum Beispiel den Wellen Energie, sodass sie mit weniger Kraft an Land auflaufen. Manche Regionen werden künftig unbewohnbar sein, auch darauf müssen wir uns einstellen,“ erklärt Professor Torsten Schlurmann, der als Küsteningenieur an der Universität Hannover forscht.
Auf 32 Seiten geben die beiden Wissenschaftsverbände einen verständlichen Überblick zum Meeresspiegelanstieg. 14 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Forschungseinrichtungen ordnen gemeinsam die Informationen ein, die immer wieder in der Öffentlichkeit diskutiert werden, und erklären die wichtigsten Zusammenhänge und zugrundeliegenden Prozesse in klaren Worten. Damit bietet die Broschüre Orientierung in Bezug auf plausible Zukunftsszenarien, und hilft, die Risiken besser einzuschätzen. Zusätzlich erläutern die Forschenden die Situation an den deutschen Küsten, denn Klimawandel und Meeresspiegelanstieg betreffen auch die Nord- und Ostsee.
Die Autorinnen und Autoren der Broschüre arbeiten in einer interdisziplinären Strategiegruppe von DKK und KDM zu Ozeanzirkulation und Klima zusammen und forschen an den Mitgliedsinstitutionen der beiden Wissenschaftsverbände. Zusätzlich brachten Kolleginnen und Kollegen aus externen Einrichtungen ihre Expertise ein.
10. Dezember 2019
Bildnachweis: Überflutung Markt © Thomas Wasilewski, Sandaufschüttung © Christian Winter, Leuchtturm © Christian Winter, Broschüre Zukunft der Meeresspiegel © DKK/KDM