Kolumne "Zur Sache"

Das 1,5-Grad-Ziel möglich machen!

Jan Wilkens © UHH/Esfandiari

Lässt sich das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens noch einhalten? Im Hamburg Climate Futures Outlook 2023 kommen über 60 Forscher:innen aus Natur- und Sozialwissenschaften zu dem ernüchternden Schluss: Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist eine vollständige weltweite Dekarbonisierung bis 2050, und damit das Einhalten des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens, nicht plausibel. Damit soll weder das Ziel selbst begraben werden, noch soll das Ergebnis eine lähmende Resignation nach sich ziehen.

Ein Editorial von Dr. Jan Wilkens, Exzellenzcluster CLICCS, Universität Hamburg

Für viele Klimaforscher:innen, Aktivist:innen und Interessierte wird dieses Resultat kaum eine Neuigkeit sein. Auch viele Medien haben diese scheinbar apokalyptische Aussage mit einem „eigentlich wissen wir es ja schon länger“ quittiert. Es lohnt sich daher, tiefer hinter die Botschaft zu schauen: Erstens bedeutet „nicht plausibel“ nicht automatisch „nicht realisierbar“. Zweitens bietet die Studie eine umfassende systematische Analyse der politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen, die das Ergebnis begründen. Drittens untersucht der Hamburg Climate Futures Outlook damit genau jene gesellschaftlichen Schlüsselfaktoren – oder Treiber –, die zentral für die Realisierung der Klimaziele sind.

So zeigt die Studie, dass es einerseits wesentlich vom Zusammenspiel gesellschaftlicher und physikalischer Dynamiken abhängt, ob die Temperaturziele des Pariser Klimaabkommens durch eine vollständige Dekarbonisierung eingehalten werden können. Andererseits hat menschliches Handeln maßgeblich Einfluss darauf, wie sich Klimazukünfte entwickeln. Beides sollte sowohl als Möglichkeit zu Handeln gesehen werden und als Verantwortung, ehrgeizige Klimaziele zu verfolgen und konsequenter umzusetzen.

Leider wird in diesem Zusammenhang in vielen Debatten immer noch allein an die individuelle Verantwortung appelliert, im Sinne von „Was kann jede:r Einzelne tun?“. Unsere Analyse zeigt, dass diese Debatten zu oft den Blick auf Rahmenbedingungen verstellen, welche die nötigen Transformationen verhindern: Ungerechtigkeit und soziale Ungleichheit. Entscheidende soziale Treiber, von UN-Klimagovernance, dem (finanziellen) Ausstieg aus fossilen Energien, bis hin zu Konsumverhalten und Unternehmensstrategien, zeigen uns: Es sind die unterstützenden Rahmenbedingungen sowie die Verfügbarkeit von Ressourcen für einen Wandel, die eine gesellschaftliche Transformation in Richtung Dekarbonisierung plausibel werden lassen. Ungleichheiten prägen dabei alle Treiber auf sehr unterschiedliche Weise, das liegt an den diversen Konstellationen der Akteur:innen und extrem unterschiedlicher Möglichkeiten zu handeln. Im Hinblick auf Konsumverhalten ist es eine politische und gesellschaftliche Frage, ob ein:e Arbeiter:in auf ein Auto für den Arbeitsweg angewiesen ist oder alternative Möglichkeiten hat. Auch im Kontext von Wissensproduktion zum Klimawandel und möglicher Lösungsansätze verhindert strukturelle Ungleichheit, dass die Wissensbestände diverser Gruppen und Personen, die oftmals besonders vom Klimawandel betroffen sind, angemessen berücksichtigt werden.

Politik und Gesellschaft müssen aktiv Bedingungen schaffen, die solche Transformationen befördern. Damit ein gerechter Wandel nicht zur Worthülse wird, benötigt es inklusive Debatten um nachhaltige Lösungen sowie deren Umsetzung. Auch der isolierte Fokus auf technologische Lösungen birgt die Gefahr, die elementare Bedeutung der gesellschaftlichen Faktoren zu unterschlagen. Wie bei der Individualisierung der Verantwortung verstellt es in aktuellen Klimadebatten den Blick auf das Wesentliche: die gesellschaftliche Transformation. Nur dann kann das 1,5-Grad-Ziel möglich werden.

 

Zum Autor

Jan Wilkens ist Politikwissenschaftler und arbeitet im Syntheseprojekt des Exzellenzcluster „Klima, Klimawandel und Gesellschaft“. Er ist einer der Herausgeber des Hamburg Climate Futures Outlook 2023: The plausibility of a 1.5°C limit to global warming—Social drivers and physical processes. Er forscht zu den Themen Klimagerechtigkeit, Energiewende und der Rolle von Technologie im Nahen Osten. Er hat die Klimakonferenzen in Glasgow und Sharm el-Shaikh verfolgt.

 

28. Februar 2023

Bildnachweis: UHH/Esfandiari

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