Bewertung von CO2-Entnahme: Zwischen Machbarkeit und gesellschaftlichen Zielen
15.01.2025 | Zur Sache
15.01.2025 | Zur Sache
Ein Editorial von Prof. Dr. Christian Baatz, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)
Die Frage, wie wir auf den Klimawandel reagieren sollten, stellt uns vor eine kaum überschaubare Vielfalt an Überlegungen. Seit einigen Jahren geht es dabei auch um die Frage, ob gezielt Maßnahmen zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre eingesetzt werden sollen, um unsere Klimaziele zu erreichen. Solche Maßnahmen generieren sogenannte “negative Emissionen” und tragen damit zum Klimaschutz bei. CO2-Entnahme kann an Land erfolgen oder wir erhöhen die natürliche Aufnahme der Ozeane. Will Deutschland seine Klimaziele noch erreichen, führt kein Weg an diesen zum Teil sehr umstrittenen Maßnahmen vorbei.
Um eine Übersicht zu erhalten, welche Potenziale, Vorteile und Risiken mit den unterschiedlichen Methoden der CO2-Entnahme verbunden sind, und wie sich diese im Vergleich zu anderen Klimaschutzoptionen darstellen, werden in der Wissenschaft vermehrt Bewertungsleitfäden entwickelt. Diese sammeln und systematisieren alle Aspekte, die für die Abschätzung von Klimaschutzmaßnahmen relevant sind.
Im Forschungsprojekt ASMASYS der Forschungsmission CDRMare der Deutshen Allianz Meeresforschung (DAM) haben wir einen Leitfaden speziell für die marine CO2-Entnahme entwickelt. Ein besonderes Merkmal des Projektes ist seine Zusammensetzung: Neben den Naturwissenschaften sind auch die Geistes- und Sozialwissenschaften prominent vertreten. Diese Zusammensetzung führte zu der Erkenntnis, dass die derzeit diskutierten Bewertungsleitfäden – einschließlich des einflussreichen “Feasibility Assessment Framework” des IPCC – nicht klar genug benennen, in welcher Hinsicht mögliche Klimaschutzmaßnahmen eigentlich bewertet werden.
Viele Leitfäden nehmen für sich in Anspruch, ein Werkzeug für die Bewertung der Machbarkeit (eng. feasibility) von Klimamaßnahmen bereitzustellen. Meist tun sie aber mehr, als die reine Machbarkeit zu bewerten. Denn sie berücksichtigen eine Vielzahl von Umweltauswirkungen wie Biodiversitätsverluste und soziale, kulturelle und sogar normative Faktoren, z.B. intergenerationelle Gerechtigkeit. Auch wenn diese für die Machbarkeit relevant sein können, sind sie es nicht durchgängig. Die ökologischen und soziokulturellen Faktoren sind vor allem dann bedeutsam, wenn wir bewerten, welche Klimamaßnahmen wünschenswert (eng. desirable) sind. Sowohl die Frage danach, was machbar ist, wie auch die Frage danach, was wünschenswert ist, sind von zentraler Bedeutung für die gesellschaftliche Debatte – jedoch handelt es sich um zwei fundamental unterschiedliche Erkenntnisinteressen.
Im Projekt ASMASYS haben wir im Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern aus Ministerien, Behörden und NGOs sowie den Schwesterprojekten aus den Forschungsmissionen CDRmare und CDRterra den ersten Bewertungsleitfaden entwickelt, der explizit zwischen einer Bewertung der Machbarkeit und der gesellschaftlichen Erwünschtheit unterscheidet und die Ressourcen anbietet, um beides strukturiert durchzuführen. Die Erwünschtheit betrifft nicht bloß subjektive Wünsche oder Präferenzen. Stattdessen wird unter anderem danach gefragt, wie viel eine Maßnahme zum Klimaschutz beiträgt, in welchem Verhältnis Kosten und Nutzen stehen und wie sie vor dem Hintergrund weit geteilter Fairness-Vorstellungen zu bewerten ist. Bei diesen Fragen wollen wir nicht wissen, ob wir eine Maßnahme umsetzen können, sondern welchen Beitrag sie zu Klimaschutz-, Effizienz- und Gerechtigkeitszielen leistet, je nachdem wie wir sie umsetzen.
Die Rolle der Wissenschaft bei der Bewertung der Erwünschtheit von Klimamaßnahmen sehen wir dabei nicht darin, Politik und Gesellschaft vorzuschreiben, was wünschenswert ist. Stattdessen geht es darum, Debatten über die Erwünschtheit bestimmter Klimamaßnahmen zu systematisieren und fundiert zu gestalten.
Vor wenigen Monaten hat die zweite Förderphase von ASMASYS begonnen, in der es darum geht, nicht nur einzelne Maßnahmen, sondern Szenarien mit unterschiedlichen Maßnahmenkombinationen zu bewerten. Wir wollen auch untersuchen, ob bestimmte Faktoren in der Bewertung dazu führen, dass manche Maßnahmen(-kombinationen) nicht weiterverfolgt werden sollten, weil sie beispielsweise mit massiven Umweltrisiken verbunden sind. In der zweiten Phase werden wir den Leitfaden und die Bewertung weiterentwickeln, wobei wir noch enger mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von CDRterra zusammenarbeiten, die landbasierte CO2-Entnahme erforschen und bewerten.
15.01.2025
Bildnachweis: Christian Thiel, Deutscher Ethikrat
Christian Baatz ist Junior-Professor an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) mit einem Schwerpunkt auf Klimaethik, Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit. Neben seiner Beteiligung in mehreren Projekten zur CO2-Entnahme leitet er seit 2020 mit „adjust: Finanzierung von Anpassung an den Klimawandel im Globalen Süden: Auf der Suche nach einer gerechten und praxistauglichen Verteilung knapper Gelder“ eine BMBF-Nachwuchsgruppe am Philosophischen Seminar der CAU.