Klimaschutz: Genügen die Wahlprogramme wissenschaftlichen Ansprüchen?
20.12.2024 | News
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Ein Stellungnahme von Tilman Santarius und Lukas Weißenberger, Geschäftsstelle des Deutschen Klima-Konsortiums
Aufgrund der vorgezogenen Bundestagswahlen hat das Deutsche Klima-Konsortium jenen sieben Parteien, die eine reelle Chance haben, in den Bundestag einzuziehen oder bisher dort vertreten waren, einen Brief geschrieben, um auf den Zustand der derzeitigen weltweiten Emissionen und der globalen Erwärmung hinzuweisen. Im Brief haben wir zudem vier zentrale Anliegen formuliert, die aus wissenschaftlicher Sicht in allen Parteiprogrammen berücksichtigt werden sollten. Der vollständige Brief findet sich hier.
Im Folgenden analysieren wir entlang dieser vier Anliegen, ob die Parteiprogramme von Union, SPD, Grünen, FDP und der Linken dem Stand der Forschung zum Klimawandel und zur Klimapolitik entsprechen (zur Stunde lagen noch keine Wahlprogramme von BSW und AfD vor).
1. Eine explizite Anerkennung der deutschen Klimaziele, und zwar nicht nur des langfristigen Ziels der Treibhausgasneutralität bis 2045, sondern auch der Zwischenziele 2030 und 2040.
Im Programm der SPD steht, „wir bekennen uns klar zu den Klimazielen für Deutschland und die EU”, ohne jedoch zu konkretisieren, welche Ziele gemeint sind. Die Union benennt klar das Ziel der Treibhausgasneutralität 2045, die wichtigen Zwischenziele für 2030 und 2040 werden jedoch nicht erwähnt. Bündnis 90/Die Grünen bekennen sich zum Ziel 2045 sowie zum Minus-90%-Ziel bis 2040; das Ziel für 2030 bleibt jedoch außen vor.
Das Parteiprogramm der Linken trägt als einziges der wissenschaftlichen Einschätzung Rechnung, dass die Ziele im Klimaschutzgesetz ambitionierter werden sollten, und möchte Treibhausgasneutralität schon 2040 erreichen. Allerdings werden keine Etappenziele genannt.
Ganz im Gegensatz dazu verabschiedet sich die FDP vom beschlossenen bundesdeutschen Ziel der Klimaneutralität bis 2045 und möchte nur noch ein EU-weit einheitliches Ziel bis 2050 anstreben. Aus wissenschaftlicher Sicht wäre indessen dringend eine Verschärfung der Klimaziele geboten, um mit einer höheren Wahrscheinlichkeit enorme Folgekosten und irreversible Schäden zu vermeiden.
2. Eine Benennung konkreter Ziele und Maßnahmen für alle Sektoren, insbesondere für den Verkehrs- und Gebäudesektor, in denen bisher weniger Fortschritte erzielt wurden, damit die Klimaziele insgesamt verlässlich erreicht werden können.
Keines der Wahlprogramme nennt konkrete Ziele für einzelne Sektoren. Dies ist besorgniserregend, da die letzte Novelle des Klimaschutzgesetzes mit der Aufweichung der verbindlichen Sektorziele eine Schwächung der Klimapolitik in Deutschland eingeleitet hat. Nur durch verbindliche und ambitionierte Ziele und Maßnahmen in allen Sektoren können die Klimaziele insgesamt verlässlich erreicht werden.
Als einzige Partei fordert die Linke die Wiedereinführung verbindlicher Reduktionsziele für alle Sektoren, die erst in der gegenwärtigen Legislaturperiode abgeschafft wurden.
Es entsteht der Eindruck, dass Union, SPD, Grüne und FDP keine konkreten Klimaziele für einzelne Sektoren verfolgen möchten. Union und FDP planen schrittweise alle Sektoren in den EU-Emissionshandel einzubeziehen – ein Ansatz, der verbindlichen Zielvorgaben für einzelne Sektoren entgegensteht. Die Grünen kündigen lediglich an, das aktuelle Klimaschutzgesetz evaluieren und dann die Verantwortung von jenen Sektoren stärken zu wollen, in denen Klimaschutz zu wenig vorankommt. Immerhin formulieren die Grünen konkrete Ziele für den Stromsektor: Bis 2030 sollen 80%, bis 2035 100% des Stroms klimaneutral erzeugt werden.
Was Maßnahmen betrifft, schlagen vor allem die Grünen, aber auch SPD, Union und Linke etliche konkrete Vorhaben in einzelnen Sektoren vor. Die FDP plädiert indessen dafür, vor allem auf Anreize durch CO2-Bepreisung und Emissionshandel zu setzen, und möchte in zentralen Sektoren (Mobilität, Bauen etc.) sogar bestehende Auflagen abschaffen.
3. Die Bereitstellung von ausreichenden öffentlichen Mitteln sowie die Benennung von Maßnahmen zu ihrer Mobilisierung für umfassende Investitionen in die Dekarbonisierung von Infrastrukturen.
Zwar machen alle Parteiprogramme diverse Vorschläge für Infrastrukturinvestitionen, wenngleich das Programm der FDP hier deutlich weniger benennt als die anderen Programme. Doch nur die Linke konkretisiert, dass der Staat in den nächsten 10 Jahren geschätzt 600 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen bereitstellen müsse, um Infrastrukturen zukunftsfähig zu machen. Keines der anderen Parteiprogramme benennt, welche Summe an (öffentlichen) Mitteln für Investitionen bereitgestellt werden soll; die Grünen erwähnen lediglich, dass der Investitionsstau im dreistelligen Milliardenbereich liege.
SPD und Grüne sprechen sich für eine „Reform“ der Schuldenbremse aus, die Linke gleich für ihre „Abschaffung“. SPD und Grüne kündigen außerdem die Einführung eines „Deutschlandfonds“ für Zukunftsinvestitionen an. Die Grünen nennen keine konkreten Summen oder Mechanismen für den Fonds; die SPD verspricht, den Deutschlandfonds mit anfänglich 100 Mrd. Euro zu füllen und plant einen „Zukunftspakt Bund, Länder, Kommunen”. Der Pakt sieht vor, dass zusätzliche Einnahmen aus einer Reform von Erbschafts-und Schenkungssteuern sowie einer neuen Vermögenssteuer für Superreiche den Bundesländern und Kommunen als Investitionsmittel zur Verfügung gestellt werden. Das Programm der Linken nennt konkrete Vorschläge für Steuererhöhungen und neue Steuern (z.B. Finanztransaktionssteuer, Reichensteuer u.a.), um den im Programm angegebenen Investitionsbedarf zu decken.
Die Programme von Union und FDP erwähnen keinen Bedarf für eine Investitionsoffensive zur Dekarbonisierung von Infrastrukturen und benennen diese auch nicht als besondere öffentliche Aufgabe. Beide Parteien halten zudem an der Schuldenbremse fest. Ein Investitionsdefizit der nächsten Legislaturperiode wird jedoch den Druck auf die Folgejahre erhöhen und den Weg zur Treibhausgasneutralität steiler und kostspieliger machen.
4. Eine Benennung von Maßnahmen für eine sozial gerechte Klimapolitik, vor allem wie die Einnahmen aus der steigenden CO2-Bepreisung für eine Kompensation steigender Lebenshaltungskosten verwendet werden sollen.
Maßnahmen, die konkret aufzeigen, wie der nachhaltige Umbau sozial abgefedert werden kann, verringern Carbon-Lock-In-Effekte insbesondere bei Haushalten mit geringerem Einkommen und erhöhen die Transformationsbereitschaft in der Bevölkerung.
Grüne, Linke und auch die FDP sprechen sich explizit für die Einführung eines Klimagelds aus (FDP: „Klimadividende“), um die Einnahmen aus dem Emissionshandel als Direktzahlung pro Kopf zurück zu erstatten. Die Grünen kündigen zudem an, Förderprogramme durch soziale Staffelungen insbesondere auf Haushalte mit geringen und mittleren Einkommen zuzuschneiden. Im Verkehrsbereich möchten sie sozialen Ausgleich zum einen durch den Ausbau eines kostengünstigen ÖPNV schaffen, im ländlichen Raum etwa durch Rufbusse und digital vernetzte Kleinbusse. Zum Anderen soll eine steuerliche Förderung für den Erwerb von E-Autos und die Einführung einer Ladekarte zum Tanken die E-Mobilität speziell für kleine und mittlere Einkommen vergünstigen.
Die Linke wird beim Klimageld konkret und möchte es in Höhe von jährlich 320 Euro pro Person rückwirkend zum 01.01.2025 einführen. Darüber hinaus werden sozial gestaffelte Energiepreise vorgeschlagen, wofür ein Energie-Soli als Zuschlag auf obere Einkommenssteuerklassen und auf Kapitalertragssteuern eingeführt werden soll. Für den Verkehrsbereich wird außerdem ein kostenloses Nahverkehrsticket für Schülerinnen, Azubis, Studierende und Seniorinnen versprochen sowie perspektivisch ein kostenfreier ÖPNV in Aussicht gestellt.
Die Union nennt Klimageld nicht, sondern verspricht stattdessen eine Reform der Netzentgelte sowie eine Reduktion der Stromsteuern durch CO2-Einnahmen, um den Strompreis zu senken. Es bleibt unklar, wie der soziale Ausgleich im Gebäudebereich ausgestaltet werden soll, wenn die Union dort eine stärkere CO2-Bepreisung favorisiert.
Die FDP plant ebenfalls eine Reform der Netzentgelte und schlägt vor, die Stromsteuer in einem ersten Schritt auf das EU-Mindestmaß abzusenken und schließlich auf europäischer Ebene ihre Abschaffung zu erwirken.
Die SPD widmet zwar ein ganzes Kapitel ihres Wahlprogramms einem „Klimaschutz, den sich jeder leisten kann“, führt aber nur wenige konkrete Maßnahmen an. Ein Klimageld wird lediglich beispielhaft benannt; eine Deckelung der Netzentgelte wird in Aussicht gestellt, bleibt aber unkonkret; für ärmere Haushalte soll ein soziales Wärmepumpen-Leasing angeboten und die Beratung des Strom-Spar-Checks ausgebaut werden. Insgesamt setzt die SPD auf Klimaschutz als Gemeinschaftsaufgabe insbesondere der Kommunen, weshalb bspw. lokale Wärmepläne gefördert werden sollen.
Fazit: Im Überblick steht insbesondere das Programm der FDP für einen „Rollback“ (Rückschritt) in der Klimapolitik. Die Programme von Union und SPD deuten insgesamt keine Steigerung der klimapolitischen Ambitionen an; vor allem im Verkehrssektor steht auch das Programm der Union für einen Rückschritt. Das Programm von Grünen und Linken benennen etliche konkrete und progressive Maßnahmen im Detail. Aber die Grünen scheuen davor zurück, bei den übergeordneten klimapolitischen Zielen nachzubessern.
Zu den Autoren:
Tilman Santarius ist seit September 2024 Geschäftsführer des Deutschen Klima-Konsortiums. Vorherige berufliche Stationen absolvierte er am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie (2001-2009), der Heinrich Böll Stiftung (2009-2012) und der Technischen Universität Berlin (2016-2024). Tilman Santarius hat an der Universität Kassel und der University of California, Berkeley promoviert (2012-2015) und hält am Einstein Centre Digital Future eine Professur für Sozial-ökologische Transformation inne. Er hat zahlreiche Zeitschriftenartikel und mehrere Bücher veröffentlicht, die auf seiner persönlichen Webseite abrufbar sind.
Lukas Weissenberger ist seit 2024 studentischer Mitarbeiter beim Deutschen Klima-Konsortium. Er hat zwei Bachelorstudiengänge in Waldwirtschaft und Umwelt sowie Politikwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg absolviert und studiert zur Zeit im Master Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.