Klimapolitische Herausforderungen zu Beginn dieser Legislaturperiode
09.05.2025 | Zur Sache
09.05.2025 | Zur Sache
Von Sebastian Klein und Tilman Santarius
Der für Klimaschutz zuständige neue Bundesminister Carsten Schneider möchte „Umwelt-, Klima- und Naturschutz wieder ins Zentrum des gesellschaftlichen Interesses rücken“ (siehe Regierungserklärung) und sich den Aufgaben seines Ressorts mit Nachdruck widmen. Doch was sind die klimapolitischen Herausforderungen, die sich zu Beginn dieser neuen Legislaturperiode stellen? Wir möchten drei zentrale Herausforderungen benennen.
Erstens ist die Klimapolitik an den tatsächlichen Emissionsentwicklungen zu messen. Das Umweltbundesamt und der Expertenrat für Klimafragen haben frische Zahlen vorgelegt. Die gute Nachricht: Im Jahr 2024 sind die Gesamtemissionen in Deutschland um gut 3 % gesunken. Das nationale Klimaziel, bis zum Jahr 2030 mindestens 65 % weniger zu emittieren als im Jahr 1990, bleibt erreichbar – nicht zuletzt, weil sich durch die Pandemie und die derzeitige wirtschaftliche Schwäche ein „Puffer“ gebildet hat. Die Voraussetzung, um das Klimaziel 2030 zu erreichen, ist allerdings, dass die bereits eingeführten klimapolitischen Maßnahmen und Instrumente konsequent weitergeführt und weiterentwickelt werden. Die Ankündigungen im Koalitionsvertrag, das „Heizungsgesetz“ abzuschaffen (siehe Koalitionsvertrag, S.24) sowie die geplante Pendlerpauschale auszuweiten, damit diese bereits ab dem ersten Kilometer den Autoverkehr subventioniert, sorgen dahingehend für erhebliche Verunsicherung. Denn insbesondere die beiden Sektoren Verkehr und Gebäude haben im letzten Jahr zum wiederholten Mal ihre Emissionsreduktionsziele überschritten. Hinzu kommt die düstere Prognose für den Sektor „Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft“. Dieser wird in den kommenden Jahren keine Emissionssenke, sondern eine -quelle sein. Die erste zentrale Herausforderung dieser Legislaturperiode ist es daher, insbesondere in diesen drei Problemsektoren (Verkehr, Gebäude, Landnutzung) die bestehenden Gesetze nachzuschärfen oder neue Instrumente einzuführen, um kurzfristig die Ambition so zu steigern, dass das Klimaschutzziel für 2030 erreichbar bleibt.
Eine zweite Herausforderung ergibt sich aus Verpflichtungen bestehender Regelwerke, denen die Bundesregierung nachkommen muss und die vor allem für die Erreichung der längerfristigen Ziele 2040 (-90 %) und 2045 (Treibhausgasneutralität) relevant sind. Zum einen fällt hierunter die Umsetzung von bereits beschlossenem EU-Recht; allen voran die Ausdehnung des EU-Emissionshandels auf die Sektoren Gebäude und Verkehr (ETS-2) mit Start im Jahr 2027. Zum anderen muss die neue Bundesregierung gemäß des deutschen Klimaschutzgesetzes bis spätestens ein Jahr nach Amtsantritt ein Klimaschutzprogramm von Politiken und Maßnahmen vorlegen, mit denen die längerfristigen Ziele erreicht werden können. Schneider möchte das Programm laut aktueller Vorhabenplanung seines Ministeriums bereits im November dieses Jahres ins Kabinett einbringen. Denn nach den aktuellen Projektionsdaten des Umweltbundesamts wird das Klimaziel für das Jahr 2040 um voraussichtlich 8 % verfehlt. Um hierzu eine Ressortabstimmung und die Einbeziehung des Bundestags gewährleisten zu können, müssen die Ministerien bis Ende September 2025 konkrete Vorschläge erarbeiten. Es dürfte daher nicht nur nach den Jahresprognosen des Deutschen Wetterdienstes ein „heißer Sommer 2025“ werden, sondern auch für die neue Koalition.
Die dritte Herausforderung bezieht sich auf die Notwendigkeit einer sozial gerechten Klimapolitik. Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass klimapolitische Maßnahmen eher akzeptiert werden, wenn sie sozial verträglich und fair ausgestaltet sind (siehe z.B. MCC 2024). Insbesondere Haushalte mit niedrigem oder mittlerem Einkommen sollten keine spürbaren Belastungen hinnehmen müssen, sondern für nötige Investitionen oder Verhaltensänderungen vollständig kompensiert werden. Die Idee eines „Klimagelds“ ist im Koalitionsvertrag explizit nicht vorgesehen. Stattdessen soll der Strompreis deutlich gesenkt und Förderprogramme im Gebäudesektor sollen stärker auf einkommensschwache Haushalte zugeschnitten werden. Dies wird nur Teile der direkten und indirekten Energiekosten ausgleichen – insbesondere dann, wenn im Emissionshandel (ETS-2) hinreichend hohe Zertifikatspreise entstehen, die tatsächlich Anreize für neue Heizungsanlagen, E-Autos oder alternative Mobilitätsgewohnheiten setzen. Entscheidend ist daher, den Satz aus dem Koalitionsvertrag zu konkretisieren, „unbürokratische und sozial gestaffelte Entlastungen und Förderungen beim Wohnen und bei der Mobilität auf den Weg [zu] bringen, damit niemand überfordert wird“. Dafür muss die Regierung wirksame und für Bürger*innen wahrnehmbare Maßnahmen erst noch definieren. Auch auf EU-Ebene drängt die Zeit: Deutschland muss bis Ende Juni der Kommission einen Klimasozialplan vorlegen, der zeigt, wie Mittel aus dem EU-Klimasozialfonds gezielt sozial schwächere Haushalte entlasten sollen.
Diese Herausforderungen können allesamt nur dann politisch bewältigt werden, wenn es einen offenen und diskursiven Handlungsraum gibt, in dem eine ambitionierte Klimapolitik gestaltet werden kann. Ein Großteil der Bevölkerung nimmt Klima- und Umweltschutz – trotz abnehmender Tendenz – weiterhin als drängendes Problem wahr (siehe Umweltbewusstseinsstudie des UBA). Damit sich ein Framing nicht weiter zuspitzt, welches einen klima- und umweltpolitischen Kulturkampf befördert, steht die neue Regierung daher insgesamt vor der Aufgabe, die Notwendigkeit von Klima- und Umweltschutz wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und durch konkrete Politikangebote hoch oben auf der politischen Agenda zu verankern.
Sebastian Klein ist Referent für Public Affairs des Deutschen Klima-Konsortiums. Er beobachtet die Klimapolitik auf Bundesebene und unterstützt das DKK bei der Gestaltung des Austausches an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik. Zuvor arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Bundestag im Bereich der Klimapolitik und der internationalen Zusammenarbeit. Er absolvierte sein Studium mit einem Master in Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Tilman Santarius ist seit September 2024 Geschäftsführer des Deutschen Klima-Konsortiums. Vorherige berufliche Stationen absolvierte er am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie (2001-2009), der Heinrich Böll Stiftung (2009-2012) und der Technischen Universität Berlin (2016-2024). Tilman Santarius hat an der Universität Kassel und der University of California, Berkeley promoviert (2012-2015) und hält am Einstein Centre Digital Future eine Professur für Sozial-ökologische Transformation inne.