Klima-FAQ 13.2 | Eisschilde

Werden die Eisschilde in Grönland und der Antarktis bis Ende des Jahrhunderts zur Meeresspiegeländerung beitragen?

Die Grönland-, Westantarktis- und Ostantarktis-Eisschilde sind die größten Süßwasserspeicher unseres Planeten. Als solche haben sie auf geologischen Zeitskalen, aber auch in jüngster Zeit, zu Meeresspiegeländerungen beigetragen. Sie gewinnen Masse durch Akkumulation (Schneefall) und verlieren sie durch Ablation an der Oberfläche (hauptsächlich Eisschmelze) sowie durch Eisabfluss an ihren meerseitigen Rändern, entweder über ein aufschwimmendes Eisschelf oder direkt in den Ozean durch das Kalben von Eisbergen. Erhöhte Akkumulation führt zu einem Absinken des globalen Meeresspiegels während höhere Ablation an der Oberfläche und höherer Abfluss den Meeresspiegel steigen lassen. Schwankungen dieser Massenflüsse hängen von einer Reihe von Prozessen ab, sowohl innerhalb des Eisschildes als auch außerhalb davon im Ozean oder der Atmosphäre. Im Laufe dieses Jahrhunderts scheinen jedoch die Quellen für Massenverluste die Quellen für Massenzuwachs zu überwiegen, so dass ein anhaltend positiver Meeresspiegelbeitrag erwartet werden kann. Diese FAQ fasst aktuelle Forschung zu diesem Thema zusammen und liefert indikative Größen für die verschiedenen Meeresspiegelbeiträge Ende des Jahrhunderts (2081– 2100 gegenüber 1986 – 2005) aus dem Gesamtbericht, die als Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeitsbereich über alle Emissionsszenarien angegeben sind.

Im Verlauf von Jahrtausenden transportiert die langsame horizontale Fließbewegung eines Eisschildes Masse aus Gebieten mit Nettoakkumulation (im Allgemeinen die hohen Lagen im Landesinneren) hin zu Gebieten mit Nettoverlust (im Allgemeinen die tiefliegenden Randzonen und die Küstenlinie). Zurzeit verliert Grönland ungefähr die Hälfte seiner akkumulierten Eismasse über Ablation an der Oberfläche, die andere Hälfte über das Kalben von Eisbergen. Die Antarktis hingegen verliert nahezu ihr gesamtes akkumuliertes Eis durch Kalben und durch submarine Schmelzprozesse entlang der Schelfeiskanten. Schelfeise schwimmen, daher hat ihr Abschmelzen nur einen vernachlässigbaren Effekt auf den Meeresspiegel. Sie können den Meeresspiegel jedoch indirekt über Änderungen der Massenbilanz des sie speisenden Eisschildes beeinflussen (siehe unten).

Einige Untersuchungen mit Satellitendaten aus der Radaraltimetrie legen nahe, dass der Schneefall in der Ostantarktis zugenommen hat, aber neuere Atmosphärenmodellierungen sowie Satellitenmessungen von Schwerkraftänderungen zeigen keine signifikante Zunahme. Diese scheinbare Widersprüchlichkeit könnte ihre Ursache darin haben, dass relativ schwache Langzeittrends von den stark ausgeprägten Schwankungen des Schneefalls von Jahr zu Jahr verdeckt werden. Projektionen weisen auf eine beträchtliche Zunahme des antarktischen Schneefalls im 21. Jahrhundert hin, vor allem weil eine wärmere Atmosphäre in der Lage wäre, mehr Feuchtigkeit in die Polarregionen zu transportieren. Regionale Änderungen der atmosphärischen Zirkulation spielen wahrscheinlich eine untergeordnete Rolle. Dieser Prozess trägt laut Projektionen für den gesamten antarktischen Eisschild zu einem Absinken des Meeresspiegels zwischen 0 und 70 mm bei.

Zurzeit sind die Lufttemperaturen in der Umgebung der Antarktis zu niedrig für nennenswerte Massenverluste über Ablation an der Oberfläche. Feld- und Satellitenbeobachtungen zeigen jedoch einen verstärkten Eisabfluss in einigen begrenzten Küstengebieten, der sich in einer sinkenden Eisoberfläche äußert. Diese Gebiete (Pine Island- und Thwaites-Gletscher in der Westantarktis, sowie Totten- und Cook-Gletscher in der Ostantarktis) liegen alle in kilometertiefen Gräben im Felsuntergrund in Richtung der äußeren Kante des antarktischen Festlandsockels. Es wird angenommen, dass der erhöhte Abfluss durch regionale Änderungen der Ozeanströmung ausgelöst wurde, die wärmeres Ozeanwasser in Kontakt mit aufschwimmendem Schelfeis brachten.

Für die weiter nördlich gelegene antarktische Halbinsel existieren gut dokumentierte Aufzeichnungen eines Schelfeiskollapses, der mit der verstärkten Oberflächenschmelze aufgrund der atmosphärischen Erwärmung über die letzten Jahrzehnte in Zusammenhang zu stehen scheint. Die darauffolgende Verringerung der Eismächtigkeit der Gletscher, die diese Schelfeise speisen, hatte einen positiven, wenn auch geringen Effekt auf den Meeresspiegel, wie dies auch bei zukünftigen Ereignissen dieser Art auf der Halbinsel der Fall sein wird. Regionale Projektionen atmosphärischer Temperaturänderungen im 21. Jahrhundert legen nahe, dass dieser Prozess wahrscheinlich nicht die Stabilität der großen Schelfeisgebiete sowohl der West- als auch der Ostantarktis beeinflussen wird, obwohl diese aber durch zukünftige ozeanische Änderungen gefährdet sein können (siehe unten).

Schätzungen über den Beitrag der antarktischen Eisschilde zum Meeresspiegel in den vergangen Jahrzehnten variieren stark; allerdings wurden in letzter Zeit große Fortschritte dabei erzielt, die Beobachtungen miteinander in Einklang zu bringen. Es gibt starke Hinweise darauf, dass der erhöhte Abfluss (vor allem aus der Westantarktis) zurzeit jede Zunahme der Schneeakkumulation (vor allem in der Ostantarktis) überwiegt, was eine Entwicklung in Richtung ansteigenden Meeresspiegels nahelegt. Bevor verlässliche Projektionen für den Abfluss im Laufe des 21. Jahrhunderts mit größerer Sicherheit erstellt werden können, müssen zunächst die Modelle, die den Eisabfluss simulieren, verbessert werden. Dies gilt vor allem für jegliche Änderungen entlang der Aufsetzlinie, die das auf dem Untergrund aufliegende Inlandeis vom schwimmenden Schelfeis trennt, sowie für Wechselwirkungen zwischen Schelfeis und Ozean. Das Konzept der „Instabilität mariner Eisschilde“ beruht auf der Vorstellung, dass der Abfluss eines unterhalb der Meeresoberfläche auf Fels gegründeten Eisschildes sich erhöht, wenn das Eis an der Aufsetzlinie dicker ist und dadurch schneller fließt. Fällt der Felsuntergrund in Richtung des Eisschildinneren ab, entsteht dadurch ein Teufelskreis erhöhten Abflusses, der dazu führt, dass das Eis an der Aufsetzlinie dünner wird und aufzuschwimmen beginnt. Die Aufsetzlinie zieht sich folglich in Richtung des dickeren Eises hangabwärts zurück, das wiederum den Eisausstoß weiter verstärkt. Dieser Rückkopplungsmechanismus könnte potenziell zu einem sehr schnellen Verlust von Teilen des Eisschildes führen, wenn sich die Aufsetzlinien entlang von Rinnen und Becken zurückziehen, die in Richtung des Eisschildinneren tiefer werden.

FAQ 13.2, Abbildung 1 | Quelle: IPCC 2014
Klimaforschung und Klimwandel
FAQ 13.2, Abbildung 1 | Quelle: IPCC 2014

FAQ 13.2, Abbildung 1 | Veranschaulichende Zusammenfassung der projizierten Änderungen der Oberflächenmassenbilanz (surface mass balance, SMB) und Abflussraten bis zum Jahr 2100 für Eisschilde in (a) Grönland und (b) der Antarktis. Die Farben in der Karte beziehen sich auf projizierte Änderungen der Oberflächenmassenbilanz zwischen Anfang und Ende des 21. Jahrhunderts unter Verwendung des regionalen atmosphärischen Klimamodells RACMO2 unter Annahme der zukünftigen Erwärmungsszenarien A1B (Antarktis) und RCP4.5 (Grönland). Für Grönland sind die durchschnittlichen Lagen der Gleichgewichtslinien während dieser beiden Zeitabschnitte jeweils in lila und grün dargestellt. Eisschildgrenzen und Aufsetzlinien sind als schwarze Linien dargestellt, ebenso wie Eisschildsektoren. Für Grönland sind die Ergebnisse von Fließlinienmodellen für vier große Auslassgletscher eingefügt, während für die Antarktis die farbigen Ringe die projizierte Abflussänderung auf Basis einer probabilistischen Extrapolation beobachteter Trends darstellen. Der äußere und innere Radius eines jeden Ringes zeigt jeweils die obere und untere Grenze des Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeitsbereichs eines Beitrags (Legende oben rechts); rot bedeutet Massenverlust (Anstieg des Meeresspiegels), blau Massenzunahme (Absinken des Meeresspiegels). Schließlich ist der Beitrag der einzelnen Eisschilde zum Meeresspiegelanstieg aufgezeigt (über den Karten eingefügt), wobei sich Hellgrau auf die Oberflächenmassenbilanz (das Modellexperiment, das für die Erstellung der SMB-Karte genutzt wurde, ist als gestrichelte Linie dargestellt) und Dunkelgrau auf den Abfluss bezieht. Alle Projektionen basieren auf dem Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeitsbereich über alle Szenarien.

Der zukünftige Klimaantrieb könnte einen solchen instabilen Zusammenbruch auslösen, der sich dann unabhängig vom Klima weiter fortsetzen kann. Dieser potenzielle Kollaps könnte sich in einzelnen Senken des Felsuntergrunds der Westantarktis und Gebieten der Ostantarktis über mehrere Jahrhunderte entwickeln. Viele Forschungsarbeiten konzentrieren sich darauf zu verstehen, wie wichtig dieses theoretische Konzept für diese Eisschilde ist. Der Meeresspiegel könnte steigen, wenn die Effekte der marinen Instabilität zum Tragen kommen, aber zurzeit sind die Belege nicht ausreichend, um Vorboten für einen solchen instabilen Rückzug eindeutig zu identifizieren. Es wird projiziert, dass Abflussänderungen bis zum Jahr 2100 zwischen -20 (entspricht einem Absinken) und 185 mm zum Meeresspiegelanstieg beitragen, obwohl die ungewisse Auswirkung der Instabilität mariner Eisschilde diese Zahl um mehrere Dezimeter erhöhen könnte. Insgesamt scheint verstärkter Schneefall den durch erhöhten Abfluss verursachten Meeresspiegelanstieg nur teilweise auszugleichen.

In Grönland überwiegt der Massenverlust durch verstärkte Oberflächenablation und Abfluss einen möglichen jüngsten Trend zu verstärkter Akkumulation im Inland. Seit den frühen 1990er Jahren hat sich der geschätzte Massenverlust durch Oberflächenablation verdoppelt. Man erwartet, dass sich dieser Trend über das nächste Jahrhundert fortsetzt, wenn immer größere Teile des Eisschildes über längere Zeit Oberflächenablation ausgesetzt sind. Tatsächlich legen Projektionen für das 21. Jahrhundert nahe, dass zunehmender Massenverlust eine schwach zunehmende Akkumulation überwiegen wird. Das erneute Gefrieren von Schmelzwasser innerhalb der Schneedecke hoch oben auf dem Eisschild bietet einen wichtigen (wenn auch vielleicht zeitlich begrenzten) dämpfenden Effekt auf den Zusammenhang zwischen atmosphärischer Erwärmung und Massenverlust.

Obwohl die beobachtete Reaktion von Auslassgletschern sowohl vielschichtig ist als auch höchst unterschiedlich ausfällt, hat das Kalben vieler großer grönländischer Auslassgletscher während des letzten Jahrzehnts erheblich zugenommen und stellt einen nennenswerten zusätzlichen Massenverlust dar. Dies scheint mit dem Eindringen von warmem Wasser in die Küstengewässer rund um Grönland zusammenzuhängen. Es ist jedoch nicht klar, ob dieses Phänomen Ausdruck einer innerdekadischen Schwankung ist, wie zum Beispiel der Nordatlantischen Oszillation (NAO), oder einen Langzeittrend darstellt, der mit der Erwärmung aufgrund von Treibhausgasen zusammenhängt. Es ist daher schwierig, seine Auswirkung auf den Abfluss im 21. Jahrhundert zu projizieren, wenngleich dies die offensichtliche Sensitivität des Abflusses gegenüber der Ozeanerwärmung unterstreicht. Der Einfluss von mehr Oberflächenschmelzwasser auf die Gleiteigenschaften des Eisschildbettes sowie die Fähigkeit des wärmeren Eises, sich leichter zu verformen, könnten zu schnelleren Fließraten führen, aber der Zusammenhang mit den jüngsten Anstiegen der Abflussraten ist unklar. Es wird projiziert, dass Änderungen der Nettodifferenz zwischen Oberflächenablation und Akkumulation in den Jahren 2081– 2100 (gegenüber 1986 – 2005) zwischen 10 und 160 mm zum Meeresspiegelanstieg beitragen werden, während der gestiegene Abfluss laut Projektionen weitere 10 bis 70 mm ausmachen wird (Tabelle 13.5).

Der grönländische Eisschild hat während der letzten Jahrzehnte zu einem Anstieg des mittleren globalen Meeresspiegels beigetragen, und diese Entwicklung wird sich aller Erwartung nach in diesem Jahrhundert verstärken. Im Gegensatz zur Antarktis sind für Grönland keine großskaligen Instabilitäten bekannt, die einen plötzlichen Meeresspiegelanstieg im Laufe des 21. Jahrhunderts verursachen könnten. Es könnte jedoch ein Schwellenwert existieren, so dass ein weiterer Schwund auf einer Zeitskala von mehreren Jahrhunderten unumkehrbar werden könnte, selbst wenn das Klima innerhalb von Jahrhunderten zu einem vorindustriellen Zustand zurückkehren würde. Auch wenn der Massenverlust durch das Kalben von Eisbergen in zukünftigen Jahrzehnten zunehmen kann, wird dieser Prozess schließlich zum Stillstand kommen, wenn sich die Eisgrenze auf Festgestein oberhalb des Meeresspiegels zurückzieht, wo sich der Großteil des Eisschildes befindet.

 

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Diese deutsche Übersetzung sollte zitiert werden als:

IPCC 2014: Klimaänderung 2013: Naturwissenschaftliche Grundlagen. Häufig gestellte Fragen und Antworten – Teil des Beitrags der Arbeitsgruppe I zum Fünften Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) [T.F. Stocker, D. Qin, G.-K. Plattner, M. Tignor, S.K. Allen, J. Boschung, A. Nauels, Y. Xia, V. Bex und P.M. Midgley (Hrsg.)]. Deutsche Übersetzung durch die deutsche IPCC-Koordinierungsstelle und Klimabüro für Polargebiete und Meeresspiegelanstieg, Bonn, 2017.

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